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Leeberghof: Auf der Jagd im Geniesserland Tegernsee

by Götz A. Primke

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Ein krachender Schuß zerreisst die Stille – und das Herz des jungen Rehbocks, der eben noch hundert Meter entfernt von uns äste. Vor Schreck verreisse ich meine Kamera und suche schnell wieder die zwei Rehe, die wir beobachten. Die junge Geiss steht starr vor Schreck, verwundert, warum sich ihr Freund hingelegt hat. Es dauert einige Sekunden, bis sie realisiert, dass er nicht wieder aufstehen wird, dass er kein guter Vater ihrer Kitze sein wird. Dann springt sie davon in den Wald. Helmuth Huber, Wirt vom Leeberghof im Geniesserland Tegernsee hat wieder für Nachschub für seine Speisekarte gesorgt. Er sitzt neben mir, schultert sein Gewehr und sagt: „Na, dann wollen wir uns den jungen Burschen mal ansehen.“

Ich bin das erste Mal in meinem Leben bei einer Jagd dabei. Jagen, um zu essen. Töten, um zu leben. Der archaische Ansatz hat mich schon immer fasziniert. Wem ist heute noch bewusst, wie viele Tiere täglich gezüchtet werden und sterben müssen, nur um unseren unstillbaren Hunger zu befriedigen? Massentierhaltung, Tierquälerei für billiges Supermarktfleisch stehen auf der einen Seite. Der ursprüngliche, archaische Ansatz des Menschen steht auf der anderen Seite: Töte nur so viel, wie Du selbst zum Leben brauchst. Der Wirt vom Leeberghof jagt heute genau einen Rehbock. Nach drei Tagen in der Reifekammer wird er diesen aus seiner Decke schlagen, also aus dem Fell befreien und dann schön filetiert in verschiedenen Gerichten auf seiner Speisekarte anbieten. Kein Teil des Tieres bleibt ungenutzt. Dieses Reh lebte und genoss bis eben seine Freiheit, sein gesundes Wildtierleben.

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Wir sind auf der persönlichen Jagd von Helmuth Huber. Der Wirt hat mehrere Hektar Wald bei Oberaudorf gepachtet. Der Ort liegt an der Grenze zu Österreich, nicht weit von Kufstein entfernt und ist in den letzten Jahren insbesondere durch seinen berühmten Sohn Bastian Schweinsteiger bekannt geworden. Von Oberaudorf aus geht ein kleiner Weg hoch zum Bichlsee. Dieser Bergsee ist bei Wanderern und Ausflüglern beliebt für sein warmes Wasser, ideal für eine Erfrischung vor oder auch nach einer Wanderung. In den Nadelwäldern und auf den Lichtungen in diesen Höhenlagen ist genug gesunder Lebensraum für viel Rotwild, Rehe und Hirsche. Doch auch Auerhähne, Marder, Füchse und viele andere Tiere leben hier mit- und nebeneinander. Wildschweine gibt es noch nicht – „zum Glück“, wie mir der Wirt sagt. „Kürzlich hatten wir hier zwar schon einen Schwarzkittel, doch denen ist das hier wohl zu hoch.“ Wildschweine schmecken zwar lecker, doch finden sie nicht allzuviele Freunde unter den Bauern, da eine Rotte Schwarzwild innerhalb einer Nacht ein ganzes Maisfeld vernichten kann.

Rehe und Hirsche gibt es zuhauf. Schon zu viele, wie ich lerne. Ein Jagdpächter muss nicht pro geschossenem Tier zahlen, wie etwa bei Sportjägern, die um die Welt reisen, nur um dort aus Spaß Tiere zu jagen und zu killen. Nein, die Hege und Pflege einer Jagd bedeutet, dass der Jäger verpflichtet ist, nicht zu viel Wild stehen zu lassen. Sonst wird der Wildverbiss zu hoch, ein Schaden, der der Natur, dem Waldgebiet droht. Und so ist es genau umgekehrt: Pro nicht-geschossenem Tier muss der Pächter der Unteren Jagdbehörde Strafe zahlen.

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Wir sind am Abend auf der Jagdhütte verabredet. Sommerliche Wärme empfängt mich, nichts ist zu hören oder zu sehen von der Blechlawine der Urlauber, die sich von München in Richtung Innsbruck durch das schmale Inntal wälzt. Einzig das metallische Schellen der Kuhglocken und das zwanglose Zirpen der Zikaden dringt in Ohr und Seele. Die Kuhherde weidet friedlich vor der Jagdhütte. Helmuth Huber begrüßt mich sehr herzlich vor seiner Hütte. „Sind Sie sicher, dass Sie auf einer Jagd dabei sein wollen?“, erkundigt er sich nochmal. Das ist schließlich kein alltägliches Erlebnis mehr. Ja, ich bin mir sicher. Wir betreten die Hütte und alle Klischees einer Jagdhütte finde ich bestätigt.

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Am Garderobenständer rechts neben dem Eingang hängt ein wind- und wetterfester Jagdmantel und ein wunderschönes Fell. Diese romantische Jagdhütte besteht im Erdgeschoss aus einer grossen Küche mit Esstisch, die Treppe hinauf geht es zu mehreren Schlafzimmern. An den Wänden im Flur und die Stiege hinauf hängen einige Fotos von berühmten Gästen, die hier schon auf der Jagd zu Gast waren. Unzählbar viele Jagdtrophäen hängen im ganzen Haus verteilt an den Wänden. Während ich mein unfassbar waidmännisch-romantisches Zimmer unter dem Dach für die kommende Nacht beziehe, macht sich Helmuth Huber gleich in der Küche zu schaffen und brutzelt uns eine kleine, schnelle, herzhafte und unsagbar köstliche Brotzeit: Steinpilze mit Speck.

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Wir setzen uns mit den Tellern und Jagdbesteck bewaffnet auf die Terrasse hinaus und geniessen die späte Abendsonne, die grasenden Kühe auf der Weide. Helmuth Huber, gekleidet in ein braun-weiss-kariertes Trachtenhemd, kurze Lederhose, graue Socken und schwere Wanderschuhe, erzählt etwas über sein Leben, sein Hotel, seine Jagd, kurz: seine Einstellung. Der jung gebliebene Mitt-Sechziger ist nicht irgendein unbekannter Gastwirt. Huber ist Gastronom alter Schule: Er war einmal Wirt am Münchner Nockherberg und gilt als heimlicher „Trainer“ von Münchens Ex-Oberbürgermeister Christian Ude, wenn der beim Oktoberfest das erste Fass anstechen soll. Vor 15 Jahren übernahm der Gastro-Experte das aus dem Jahr 1860 stammende Hotel am Tegernsee und baute es komplett um. Kein Stein blieb auf dem anderen, nur eine Wand mit historischer Inschrift blieb stehen. Das ist die, die mit Inschriften und Malereien an die wechselhafte Vergangenheit des Anwesens erinnert. Es gibt sechs Doppelzimmer, zwei Einzelzimmer und sieben Suiten. Jeder Raum ist individuell nach einem Thema eingerichtet. Auf seiner Speisekarte stehen immer Wildgerichte aus seiner Jagd. Gerne geht er selbst hinaus, doch da das tägliche Hotelgeschäft ihn oft bindet, hat er einen festen angestellten Jäger und Förster, der ihm das Wildbret aus seinem Wald liefert.

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Es dämmert schon langsam, und der Leeberghof-Wirt schnürt sein Ränzel. Sein Rucksack ist wohl bepackt, dazu ein Janker für die kühleren Abendstunden.
Helmuth Huber nimmt gerne hin- und wieder interessierte Gäste mit in sein Jagdrevier im Inntal. „Denn zur Philosophie des Hofes gehört neben der ungezwungen, privaten Atmosphäre das ambitionierte Ziel, den Besuchern jeden machbaren Wunsch zu erfüllen“, erklärt Huber.

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Auf dem Weg zum Ansitz. Dem Bock auf der Spur. Der Leeberghofwirt auf der Pirsch. Wir besteigen seinen VW Amarok und fahren ein gutes Stück hinein in den Wald, lassen den Wagen am Rande einer Lichtung stehen. Ausgerüstet mit Wanderhut, Wanderstab, Rucksack und der Jagdbüchse wandern wir leicht bergauf in die Lichtung hinein, verstecken uns dort am Rande der Lichtung im Unterholz. Ich fühle mich zurückversetzt in meine Kindheit. Mit meinen Eltern war ich oft bei Waldkirchen im Bayerischen Wald. Dort war ich eigentlich immer im Wald unterwegs, habe im Unterholz Verstecken gespielt, imaginäre Indianer gejagt oder kleine Waldbäche mit Staudämmen aus Steinen und Holz aufgestaut.

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Jetzt hocken wir hier im Gebüsch, an Bäume gelehnt, unsere sieben Sachen um uns herum griffbereit verteilt, und schauen auf die Lichtung. Ins Nichts. Ins Nichts? Nein, es ist unheimlich beruhigend, entspannend, auf diese Waldwiese zu schauen, die Bäume ringsherum, die vielen Nuancen von Grün und Braun, das Rauschen des Waldes dazu. Die Lichtung ist groß, doch der Wind trägt jedes Geräusch in die exzellenten Tierohren, jeden Geruch in die feinen Rehnasen. Rehe sind in der Lage, bereits geringe Duftreize wahrzunehmen und riechen einen Menschen aus einer Entfernung von 300 bis 400 Metern. Also unterhalten wir uns nur noch flüsternd. Helmuth Huber erklärt mir, dass er die Rehe am anderen Ende des Waldsaumes erwartet.

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Während er sein Gewehr präpariert, wechsle ich schnell die Objektive meiner Nikon. Mit dem Weitwinkel werde ich hier kein Glück haben, mein 70-300er Tele ist gefordert. Glücklicherweise reicht das 300er bis an den Waldsaum heran, jetzt heisst es also, eine ruhige Hand zu haben.

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Nach einer kleinen Wartezeit zeigt sich das erste Reh. Noch unsicher, verstohlen, lugt es zwischen den Bäumen und Sträuchern heraus. Kann es sich schon auf die Lichtung trauen? Helmuth Huber erklärt mir, dass dies zwar ein sehr schönes Reh sei. Doch jetzt, Anfang August, könnte die Ricke kleine Kitze im Unterholz versteckt haben. Wir wollen ja nur genau ein Reh, wir wollen keine Waisen verhungern lassen.

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Nachdem die Ricke einige Zeit auf der Lichtung geäst hat, traut sich auch der Bock hervor. Wahrscheinlich hat er aus dem Unterholz heraus seine Liebste beobachtet und feige oder in Erwartung des Unheils zum Checken vorweg geschickt. Nun also kommt auch er hervor, um das satte schöne Gras, die Blumen und Kräuter auf der Wiese zu essen. Henkersmahlzeit! Wir geben den beiden noch die Zeit für ein letztes Tête-à-tête. Es sind schöne Rehe, es ist eine Freude, ihnen zuzuschauen, wie sie so friedlich nebeneinander zu Abend äsen. Wir könnten sie auch so weiter leben lassen. Doch die Gäste im Leeberghof wünschen frisches Wildbret. Und frischer, nachhaltiger und regionaler geht es nicht mehr. Als dann…

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Der Schuss kracht! Der Bock fällt. Die Geiß schaut sich um. Und flüchtet. Wir packen unsere Sachen zusammen und gehen zum Reh, das nun im Grase liegt.

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Schön ist der Bock. Gut gebaut, ein stolzer Kerl. Ein schönes Gehörn schmückt seinen Kopf. Wir erweisen ihm den letzten Gruß zur Ehre und verdrücken eine kleine Träne. In meinem Hinterkopf summt das Jägerlied „Ich schiess den Hirsch“. Wir packen den Prachtburschen, wuchten ihn auf die Ladefläche des Amarok und fahren zurück zur Hütte.

Zurück vor der Jagdhütte nimmt der Leeberghofwirt den Rehbock von der Pritsche, zieht sein Hemd aus, stellt sich zwei Plastikeimer zurecht, zückt sein Jagdmesser und beginnt, den Bock waidgerecht aufzubrechen. Er setzt das Messer an den Hoden an und zieht es durch die rotbraune Decke durch bis zur Brust. Das Blut tränkt sofort die Wiese.

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Der ganze Aufbruch ist schnell und professionell in wenigen Minuten erledigt, mit wenigen Worten erklärt mir Helmuth Huber, was er gerade macht und warum. Seine Hände und das Messer sind blutrot. Mit wenigen erfahrenen Handgriffen unterscheidet er zwischen den Innereien, die wir auch essen können – und denen, die wir nicht so lecker finden.

„Die sind für den Fuchs“, wirft er diese Stücke in einen Eimer, den wir über Nacht vor der Tür lassen. Der schöne Rehbock kommt sofort in die Reifekammer, in der er die nächsten drei Tage ruhen kann. Dann ist das Fleisch optimal zart gereift und perfekt für die Hotelküche, optimal für den Geschmack der Gäste. Wir hingegen nehmen den anderen Eimer mit in die Jagdhütte. Es ist Zeit für das Aufbruchsessen. Das was? Diesen Ausdruck kannte ich noch nicht. Dieser Abend bringt mir nicht nur die erste Jagd, nach altem Brauch komme ich auch in das Vergnügen, am Aufbruchessen teilnehmen zu dürfen.

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Helmuth Huber zieht sich schnell ein frisches Hemd an und macht sich an die Arbeit, mich zu bewirten. Ich darf nur zuschauen und verfolge neugierig seine Handgriffe.

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Die Innereien werden sofort im klaren Wasser ausgewaschen und kommen aufs Küchenbrett. Lunge, Herz, Nieren: alles köstliche Kleinigkeiten. Leeberghof_Tegernsee_Jagd_Juli_2013_123

Zuerst wird eine Schalotte fein gewürfelt.

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Auf dem Herd stehen einige weich gekochte Kartoffeln bereits in einem Topf parat, die wir nochmal schnell erhitzen, in einem zweiten Topf steht zerlassene Butter bereit, in einer Pfanne lassen wir etwas Butter zergehen. Mit einem grossen Kochmesser würfelt der Leeberghofwirt zügig die Innereien. Anschliessend kommen diese in die Pfanne zur Butter und den angeschwitzten Schalottenwürfeln.

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Während der Aufbruch vor sich hin brutzelt und langsam Farbe zieht, widmet sich der Wirt den weich gekochten Kartoffeln. Mit Hilfe einer Kartoffelpresse wird daraus Kartoffelbrei, hier in Oberbayern auch gern Kartoffelstampf genannt, nur wenige Kilometer weiter südlich heisst das dann Erdäpfelpüree.

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Während die Sauce des Aufbruchs mit etwas Kartoffelstärke gebunden wird, wird der Kartoffelbrei mit einem guten halben Liter Milch und der zerlassenen, mittlerweile braunen Butter aufmontiert.

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Zu guter Letzt, zum luxuriösen Abschluss, zaubert der Wirt noch eine weisse Trüffel hervor. Göttlicher könnte es jetzt nicht mehr sein. Helmuth Huber raspelt reichlich weiße Trüffel in das Püree hinein – und fertig ist das Aufbruchessen. Mit gutem Wein geht ein für mich sehr ereignisreicher Tag zu Ende. Am nächsten Tag werde ich mit einem herzhaften Speck-Spiegelei-Frühstück geweckt. Romantisch und rustikal, dabei immer exzellent und hochklassig bis zum Schluß!

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Wanderer, kommst Du an den Tegernsee und hast Du Appetit auf exzellentes Wild, dann folge meiner Empfehlung: Auf der Straße vom Ort Tegernsee nach Rottach führt plötzlich linker Hand eine ziemlich steile Straße hinauf zum Leeberghof. Hoch oben gibt’s auch ein paar Parkplätze. Bei schönem Wetter sichere Dir unbedingt einen Platz auf der Terrasse. Der Blick über die Egerner Bucht am südlichen Tegernsee hinüber nach Rottach-Egern ist einfach traumhaft schön. Schon allein dieser Blick ist wie Urlaub. Dann erkennen wir auch, warum diese Region das Geniesserland Tegernsee genannt wird. Und wenn der Helmuth Huber frisches Wild aus eigener Jagd auf der Karte hat, dann solltest Du hier unbedingt zugreifen.

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Mehr Infos gibt’s hier:

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Das schreiben die anderen über den Leeberghof:


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Geniesserland Tegernsee: Auf der Jagd mit dem Leeberghof-Wirt | Bonnes Vacances 2. September 2015 - 13:50

[…] sein Gewehr und sagt: „Na, dann wollen wir uns den jungen Burschen mal ansehen.“ Unser Co-Autor Götz A. Primke ist auf der Jagd in der Geniesserregion […]

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