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Bad Reichenhall: Mit der ältesten Seilbahn der Welt auf den Predigtstuhl

by Götz A. Primke

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Wir waren jung. Wir waren leichtsinnig. Und wir waren immer noch nicht nüchtern. Doch der Berg rief! Wir hatten es uns schon tagelang für das Wochenende vorgenommen: Wir wandern auf den 1.614 Meter hohen Predigtstuhl. Dass Tina, Sven und ich uns in der Nacht zuvor mit Bier und Tequila die Kante gegeben hatten, war nicht vorhersehbar. Allerdings standen wir zu unserem Vorhaben: ab, rauf, ausschwitzen. Der Restalkohol im Blut sollte raus. Wir wollten das grandiose Panorama vom Predigtstuhl geniessen, dem Hausberg von Bad Reichenhall. Viele Jahre später nun trieb es mich wieder auf den Predigtstuhl. Doch diesmal schneller und bequemer: Mit der ältesten Seilbahn der Welt, der Predigtstuhlbahn.

Wir waren damals Schüler der Steigenberger Hotelberufsfachschule in Bad Reichenhall. Das Wetter war optimal, wir gingen früh genug los und hatten ein unvergessliches Wandererlebnis. Was wohl auch daran lag, dass wir für den sehr bequemen Wanderweg, der auch für die Generation 60+, also der typischen Gästeklientel der Kurstadt, bequem zu wandern ist, statt der auf den Wegweisern veranschlagten 2,45 Stunden ganze dreieinhalb Stunden brauchten. Wir zollten dem Suff der Nacht zuvor Tribut und legten ordentlich viel Pausen ein, gingen sehr gemächlich. Normalerweise sind diese Zeitangaben ja für den ganz langsamen Wanderer gedacht. Wer fit und gut zu Fuß ist, kann diese Zeit unterbieten. Wir hingegen brauchten deutlich länger. Nun, der Aufstieg hat sich gelohnt. Dass wir Deutschlands älteste Bergbahn zur Seite hatten, ignorierten wir. Wir wollten ja etwas erreichen. Die Ehre und so…

Jetzt also, über zwei Jahrzehnte später, wollte ich wieder das grandiose Panorama geniessen. Der Wanderherbst lockt. Die Schönheit Bayerns, gerade mit dem Blick von oben in das Voralpenland, ist hier besonders intensiv erlebbar. Doch reichte die Zeit nicht für eine Wanderung. Aber schnell mal rauf, den Ausblick geniessen und wieder runter – das passte. Das Schuhwerk stimmte eh. Wobei schnell relativ ist. Allerdings liegt das an der Bergbahn, die zum Predigtstuhl hinauf führt. Denn diese ist ein Relikt aus einer anderen Zeit. Sie ist Deutschlands älteste Seilbahn. Ein Industriedenkmal. Und sie zählt zu den 10 spektakulärsten Seilbahnen der Welt (zumindest behaupten das die Betreiber).

Doch genug der Worte, geniesst die Auffahrt – am Ende der beiden Videos werdet Ihr mit einer schönen bayerischen Musikeinlage erfreut:

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Die Predigtstuhlbahn erschließt als Großkabinenseilbahn vom Bad Reichenhaller Ortsteil Kirchberg den Predigtstuhl im Lattengebirge. Sie ist mit über 80 Betriebsjahren die älteste im Original erhaltene Großkabinenbahn der Welt. Die Predigtstuhlbahn nahm nach nur einjähriger Bauzeit am 1. Juli 1928 ihre Fahrt auf. Die 2,5 Kilometer lange Bahn galt als technische Sensation und war eine Attraktion für die Schönen und Reichen, die aus aller Welt in den damals noch mondänen Kurort Bad Reichenhall kamen. Nach dem Krieg sind die Gäste allerdings nicht mehr so zahlreich gekommen und die Predigtstuhlbahn war schließlich sogar von der Pleite bedroht. Im Februar 2009 musste die Predigtstuhlbahn Insolvenz anmelden. Seit 2013 haben neue Eigentümer die Verantwortung übernommen. Die Bahn ist in einer Einheit mit dem Gasthaus und Hotel zu sehen. Es befindet sich in einer Höhe von 1583 m ü. NN und ist das älteste Berghotel Deutschlands. Es wurde ebenfalls 1928 eingeweiht. Wirtschaftlich funktioniert so etwas natürlich nur, wenn genügend Gäste nach oben kommen. Von der Terrasse aus hat man einen schönen Blick auf Bad Reichenhall und Salzburg sowie auf die Chiemgauer und Berchtesgadener Alpen. Die Bahn stellt einen bequemen Zugang zum Lattengebirge dar und verkürzt damit die Touren zu den einzelnen Gipfeln oder eine Überschreitung des Lattengebirges erheblich. Der Reichenhaller Gleitschirmclub nutzt die Bahn, um die Startplätze in der Schlegelmulde und am Hochschlegel in kurzer Zeit zu erreichen.

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Seit 2015 ist das Gelände um das Hotel offiziell ein neuer Ortsteil der Stadt Bad Reichenhall. Die Predigtstuhlbahn erhielt mittlerweile eine neue Steuerungselektronik und fährt mit Autopilot. Wir könnten auch sagen: Personalkosten gekürzt (arbeitslos oder in Rente?). Das Hotel eröffnet wohl erst wieder im Jahr 2016. Heute bietet das Bergrestaurant eine moderne bayerische Küche im unvergleichlichen Ambiente: Die goldenen Zwanziger verströmen hier noch einen Hauch von Dekadenz, dabei erfüllt die liebevolle Restaurierung des Komplexes modernste Anforderungen an Sicherheit und Brandschutz. Da fühlt sich das dezent überalterte Zielpublikum von Bad Reichenhall wieder in die Jugend zurückversetzt…

Erst kürzlich hat die Sektion Teisendorf des Deutschen Alpenvereins ein neues Gipfelkreuz errichten lassen. Doch schon vor wenigen Jahren wollten der Initiator Harry Vossberg und der Künstler und Architekt Angerer der Ältere an dieser Stelle eine 55 m hohe Jesusstatue errichten, die selbst die riesige Jesusstatue von Rio de Janeiro um 22 m überragt hätte. Doch das wäre den Stadtvätern wahrscheinlich zu revolutionär und spektakulär gewesen und hätte ganz andere Touristen angezogen.

Dennoch dauert die Abfahrt weiterhin acht Minuten. Es soll ja weiterhin ein besonderes Erlebnis sein, auf die Alpen zu kommen.

Die Abfahrt:

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Und hier zum Schluss noch ein paar Technische Daten:

  • Höhe Talstation: 474 Meter (m)
  • Höhe Bergstation: 1.583 m
  • Höhendifferenz: 1.140 m
  • Länge: 2.380 m
  • Stützenhöhe: 22 m, 32 m und 9 m
  • Leistung: 105 PS (Ursprungsmotor Güldner Diesel Typ 4KS20, Baujahr 1927, noch immer betriebsfähig)
  • Förderleistung: 110 Personen pro Stunde und Richtung
  • Fahrzeit: 8,5 Minuten

Weiterführende Infos:

Disclaimer: Einige Daten und Fakten sind dem Wikipedia-Artikel entnommen.

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3 comments

Tanja Neumann 30. Oktober 2015 - 12:24

Klasse :-) Die Filme werde ich meinem Vater gleich am Wochenende einmal zeigen. Nachdem er 4 Jahre in der Nonnkaserne war, meinen Bruder dort gezeugt und meine Mutter ihn dort geboren hat, die beiden sich sogar auf dem Predigtstuhl das JA-Wort gebeben haben, ist die Region etwas ganz besonderes für ihn. Da sind Deine Filme klasse :-)

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GAP aka Le Gourmand 30. Oktober 2015 - 12:52

Hi Tanja, na, das ist ja mal eine ausführlichere Begründung als Deine kurze Erklärung auf Deiner eigenen Seite. Bin mir sicher, dass in R’hall früher, als die Bundeswehrkaserne noch existierte und auch die HOFA noch deutlich mehr Schüler hatte, einige Kinder mehr gezeugt wurden als heute. Freut mich, wenn ich Euch da eine kleine Erinnerung bringe.

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Tanja Neumann 30. Oktober 2015 - 12:58

Eigentlich war meine Reise nach Bad Reichenhall eine Vortour für das 50. Hochzeitsjahr meiner Eltern. Sie haben in der Salinenkirche geheiratet. Leider ist meine Mutter letztes Jahr, ein halbes Jahr vor dem 50. Hochzeitstag verstorben…
Heute kann ich darüber reden und schreiben. Letztes Jahr fiel das bei dem Blogartikel durch die Erkrankung meiner Mutter mir nicht so leicht…

Und ja, die Kaserne gibt es noch. ich durfte sogar Bilder für den ehemaligen Kameraden machen (natürlich nicht für die Öffentlichkeit). Mal sehen, ob mein Vater bald Lust auf eine neue Reise nach Bad Reichenhall hat. Für uns hängen neben der tollen Region eine Menge Emotionen an diesen schönen Orten…

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