Home ReiseSpanienAragon Advent in den Pyrenäen: Was macht das Scheisserchen in der Krippe?

Advent in den Pyrenäen: Was macht das Scheisserchen in der Krippe?

by Götz A. Primke

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Der Zufall schreibt die schönsten Geschichten. Eigentlich wollten wir in den Pyrenäen Ski fahren. Doch Anfang Dezember wird es schon in den Alpen immer fraglicher, wie gut und sicher die Schneedecke bereits ist. Wie unsicher ist in diesem Zeitraum dann erst der Schnee in der Bergkette zwischen Frankreich und Spanien? So fahren wir durch die trockene und sonnige Landschaft, kehren mittags hungrig in eine Wirtschaft am Wegesrand ein – und entdecken im Hotel Casa Peix die wohl merkwürdigste Krippenlandschaft. Ein Rückblick.

Benasque_09_Casa_Peix_Serraduy_Dez2011_003Am Abend blickt José María Turmo über sein Werk und sieht, dass es gut ist: Klein-Jesus liegt in der Krippe, angestrahlt vom Licht versteckter Lämpchen. Maria und Josef stehen um die Wiege, Ochs und Esel schauen beseligt aufs Baby. Nur der Engel, der den ums Feuer versammelten Hirten die Frohe Botschaft verkündete, fällt aus dem Rahmen: Immer wieder kippt er in den Sand. José Maria nimmt ihn behutsam hoch, klebt etwas Leim unter die Füße, seitdem steht der Gottesbote fest und sicher.

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Alle Jahre wieder bastelt der 62-jährige José María Turmo aus dem Örtchen Serraduy in der spanischen Region Aragon an seiner ganz eigenen Schöpfung – einer Weihnachtskrippe. In vielen Teilen Spaniens, vor allem aber in Aragon und der benachbarten Region Katalonien, stehen ab dem 13. Dezember solche selbst gefertigten oder gekauften Krippen. Der Tag ist der Heiligen Luzia gewidmet. Wie ihr sinnbildlicher Lichterkranz erhellen die Kerzen der Krippen die winterliche Dunkelheit, sei es in Wohnzimmerecken, in Schaufenstern oder in den Buden der Weihnachtsmärkte. Auf Letzteren agieren oft auch lebendige Figuren. Zwischen Ständen mit Churros und Bratäpfeln spielen zumeist Laien die Weihnachtsgeschichte nach. Manche Krippen sind alte Familienerbstücke, einige zählen über hundert Jahre.

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Nicht weit von seinem Hotel erstreckt sich das Tal von Benasque. Hier liegt der Parque Natural Posets-Maladeta mit seinen rund hundert Seen, deren beeindruckendster Teil die Salzwasser-Lagunen sind. Der Umkreis des Städtchens Benasque punktet mit der höchsten Dichte an Dreitausendern in den Pyrenäen, auf den Hochgebirgsgletschern geben sich Auerhähne, Schneehühner oder Hermeline die Ehre. Zudem viele aus Frankreich eingewanderte Wildschweine oder aus Kroatien importierte Bären. Im kleinen, aber feinen Cerler-Skigebiet rasen die Touristen zu Tale. Ansonsten blieb dieses wunderbare Naturrefugium bislang verschont von allzu viel menschlichem Auflauf.

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José Maria Turmo ist gerade fertig geworden. Und sicher ist seine Weihnachtskrippe die größte am Fuße der spanischen Pyrenäen. Am Morgen hat er begonnen, am Abend setzt er den letzten Farbklecks. Zwischendurch holt ihn ein Mitarbeiter immer mal wieder mit sanftem Nachdruck zurück in die Küche. Denn José ist auch Besitzer der Casa Peix, des Hotels in Serraduy.

Das 40-Seelen-Örtchen im Tal von Isebena ist über Uraltpflaster und eine mittelalterliche Steinbrücke zu erreichen, unter der die Angler ihre Fliegen nach Forellen werfen. Gleich hinter der Kirche weitet sich der Blick auf Weinberge und kleine Landgüter. José ist zugleich Chefkoch der Casa Peix. „Wenn ich jedoch an der Krippe bastele, bin ich wie im Rausch. Ich kriege nicht mal mit, wenn Gäste reinkommen“, sagt er.

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Er stellt drei Tische zusammen, setzt Ziegelsteine darauf, eine große Platte darüber und denkt über die Gestaltung nach. Dann legt er los. Auf knapp vier Quadratmetern tummelt sich schließlich allerlei Volk, es gibt Schmiede, Händler, Müller. José stört es nicht, dass – historisch gesehen – einiges bedenklich ist. Jener Bauer etwa, mit der typischen roten Zipfelmütze des Katalanen, ihn wird es wohl kaum zu Zeiten des frisch geborenen Messias gegeben haben. Auch der Priester in der langen schwarzen Soutane dürfte erst ein paar Jahrhunderte später auf der Bildfläche erscheinen.

Und schließlich ist auch der Ort, an dem das Jesulein geboren wird, kein Stall zu Betlehem. Bei José liegt er in einer Höhle.

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Hauptsache, sagt er, die Krippe sei schön und die wichtigsten Figuren der Bibel vertreten. So verkauft denn an einem kleinen Stand der Fischer Petrus seinen Fang. Nicht weit davon schreitet Apostel Jakob weit aus, in der Hand Stecken und Beutel. Und auch der „Caganer“, das Scheißerchen, gehört in die Szenerie jeder spanischen Krippe.

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Letzterer findet sich allerdings in keiner einzigen Heiligen Schrift oder noch verborgenen Pergamenten der damaligen Zeit. Wahrscheinlich wurde er erstmals im frühen 17. Jahrhundert in die Krippe gestellt. Meist hockt er in einer verborgenen Ecke, die Hosen heruntergelassen, wo er sich, nun ja, auf seine sehr direkte Art erleichtert. Vor allem Kindern ist es stets ein Spaß, das Männlein in den Krippen zu entdecken. „Iss gut, scheiße kräftig und fürchte dich nicht vor dem Tod!“, sagt man im Land.

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Das Scheißerchen symbolisiert wohl die Verbundenheit mit dem Leben, den ewigen Kreislauf der Natur. Seit einigen Jahren steht ihm der „Pixaner“ zur Seite, der, Verzeihung, „Pisser“. Und immer öfter tragen beide die Züge Prominenter. Am beliebtesten zu jeder Zeit: Maradona und der Papst. Aber auch Angela Merkel, sagt José, sehe man jetzt mit verkniffenem Gesicht und ganzer Hingabe ans große Geschäft.

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Dieses Jahr baut José erstmalig aufsteigende Berge ein. Die entstehen aus zerknüllten Zeitungen und Gips. Die Mühle ist aus dem Holz, in dem der Käse für seine Küche angeliefert wird. Die Häuser sind aus dem Kork geleerter Weinflaschen gefertigt. Am Fuße der Krippe ist ein kleiner See, dessen Grund und Ufer José mit Kieseln belegte. Die Steinchen holte er aus dem nahen Fluss, der berühmt für seine Sauberkeit und die großen Forellen ist. Das liegt am Stausee „El Grado“ weiter oben und der, meint José, reinigenden Nähe der Pyrenäen.

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Die Forellen angelte schon Josés französischer Großvater, der um 1915 nach Serraduy kam. „Sein Traum war immer, eine eigene Krippe zu haben. Aber er blieb als Maurer immer zu arm dafür“, sagt José Turmo. Auch bei José dauerte es bis 1968. Da, sagt er, hatte er endlich so viel Geld über, um sich die ersten Figuren zu kaufen. Er nimmt eine Figur hoch, einen Hirten mit einem Schaf über der Schulter. Plötzlich wird aus dem kleinen runzligen Mann mit Halbglatze und großer Brille wieder ein strahlendes Kind. Die Figuren waren seinerzeit noch aus Ton, heute sind sie vorwiegend aus Plastik.

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Jedes Jahr stockte José sein biblisches Zwergenvolk auf, es wurden immer mehr, obwohl einige auf Nimmerwiedersehen verschwanden. „Wahrscheinlich“, sagt José, „haben sie einigen Gästen zu sehr gefallen“. Er nimmt es mit Gleichmut, wenn sie ihm nur das Jesus-Baby lassen. „Das ist meine Lieblingsfigur. Er sieht so unschuldig aus. Außerdem ist er schon über zehn Jahre bei mir.“

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Die Gäste, sagt José Maria Turmo, säßen anders zu Tische, wenn die Krippe aufgebaut sei. Irgendwie entspannter. Sie sei die größte Attraktion des Restaurants, größer als seine berühmte Wildschweinwurst beispielsweise. Allerdings nicht lange. Schon am 7. Januar, dem Tag nach der spanischen Bescherung, wird sie wieder abgebaut. Die Figuren kommen in die Kiste, die Landschaft wird geschreddert. „Aber das muss ein anderer machen“, sagt José. „Ich ertrag das nicht.“
Danach steht er wieder ein Jahr lang in seiner Küche und träumt von der „ultimativen Krippe“: mit einer Mühle, deren Flügel sich tatsächlich drehen, mit Licht in den Häusern und mit fließendem Wasser im Fluss. „Ich weiß, wie Gott sich fühlte, als er die Welt erschuf“, sagt José lächelnd und knipst das Lämpchen über dem kleinen Heiland an.

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Disclosure:
Wir waren zusammen mit Maik Brandenburg und Elke Backert auf Einladung der Gemeinde Benasque, Huesca, Aragon, vor Ort.
Auch der liebe, hochgeschätzte und leider viel zu früh von uns gegangene Jo Igele hat über Weihnachtsbräuche in Spanien geschrieben.

Le Gourmand – Das Geniesser-Magazin in Benasque, Aragon, Spanien:

Service:

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