Es ist einer dieser Frühsommertage, an denen das Licht über den Reben flimmert, als wolle es die Landschaft noch einmal besonders fest umarmen. Das Weinviertel zeigt sich von seiner besten Seite: weit, sanft geschwungen, mit endlosen Reihen von Weinstöcken, die im Wind leicht rauschen. Wir sind hier, um zu genießen – und zwar nicht irgendwie, sondern auf die Art, wie sie nur hier stattfindet: Tafeln im Weinviertel.
„Gerad’ aus dem Wirtshaus komm’ ich heraus, Retz, wie wunderlich siehst du mir aus.“
– die Dame hinter dem Schalter der Touristeninformation streckt mir eine alte Postkarte entgegen. Eine gezeichnete Straßenszene mit einem Betrunkenen inmitten der Gassen von Retz. Wo bin ich hier gelandet? Retz – das ist ein wunderhübsches, kleines Städtchen im Weinviertel.
Das Weinviertel: Sanfte Hügel, große Weine
Diese Region ist eine der faszinierendsten Gegenden im Bundesland Niederösterreich. Die nächste Stadt ist bereits Znaim in Südmähren. Im Süden reicht das Weinviertel fast bis Wien. Für Jahrzehnte trennte der Eiserne Vorhang die Regionen Mähren und Weinviertel, heute wächst wieder zusammen, was immer zusammengehörte. Alte k.u.k.-Verbindungen leben fort, und die Wunden der Vertreibung sind im Abheilen begriffen.
Die Landschaft ist geprägt von sanften Hügeln, weiten Feldern, kleinen Dörfern mit bunt bemalten Häusern und den typischen Kellergassen, die wie stille Zeitzeugen zwischen den Weinrieden liegen. Hier ist das Klima kontinental geprägt, mit warmen Sommern und kalten Wintern – ideale Bedingungen für den Weinbau.
Auf beiden Seiten der Grenze gedeihen hervorragende Weine, doch während Wachau und Steiermark längst klingende Namen sind, holt das Weinviertel kräftig auf. Berühmt ist die Region für ihren Grünen Veltliner, der hier in unzähligen Varianten entsteht: frisch und fruchtig, würzig und pfeffrig, leicht oder kraftvoll. Der Name verpflichtet – er verpflichtet zu Genuss. „Tafeln im Weinviertel“ und „Genießerzimmer“ sind die jüngsten Glanzstücke der Niederösterreich Werbung. Wir wollen uns das genauer anschauen.
Ein Erlebnis, das Essen, Wein, Landschaft und Gemeinschaft zu einem einzigen, langen Sommerabend verschmilzt. Drei Tage lang tauchen wir ein in eine Region, die ihre Gäste nicht nur bewirtet, sondern einlädt, Teil ihrer Geschichte und Kultur zu werden.
Doch das Weinviertel ist nicht nur Wein. Es ist auch eine Region der kulinarischen Traditionen: Mohnnudeln, Kürbiskernöl, regionale Fleisch- und Wurstwaren, frisches Gemüse aus den fruchtbaren Böden – und natürlich die Küche der Wirtshauskultur, die hier mit Leidenschaft gepflegt wird.
Was sind die „Tafeln im Weinviertel“?
„Tafeln im Weinviertel“ ist mehr als ein Dinner – es ist eine Inszenierung. An außergewöhnlichen Orten, mitten in der Natur, decken Spitzenköche lange, festlich eingedeckte Tafeln. Die Gäste sitzen inmitten der Weinberge, auf Schlossplätzen oder unter alten Bäumen, während sie ein mehrgängiges Menü genießen, das ausschließlich aus regionalen Produkten zubereitet wird. Jeder Gang wird von den passenden Weinen der umliegenden Winzer begleitet, oft von den Winzern selbst präsentiert.
Es ist eine Veranstaltung, die alle Sinne anspricht: Das Licht des Abends, das Rauschen der Blätter, das Glitzern der Gläser, das Lachen und Murmeln der Gäste – und der Duft aus den mobilen Küchen, der sich mit dem Aroma der Weinberge vermischt. Man isst dort, wo der Wein wächst, und spürt dabei, dass dieses Erlebnis nur hier, nur so und nur in diesem Moment möglich ist.

Ankommen bei Familie Bauer: Wohnen beim Winzer
Gisela Bauer empfängt mich mit einer Mischung aus Herzlichkeit und unkompliziertem Charme. Schon nach wenigen Minuten habe ich das Gefühl, nicht einfach Gast zu sein, sondern Teil der Familie. Mein Zimmer liegt direkt im Wohnhaus – und es ist nicht irgendein Gästezimmer, sondern das Genießerzimmer des Weingut Norbert Bauer in Jetzelsdorf. Das Dorf liegt im Pulkautal, direkt an der Grenze zu Tschechien. Hier, in der sogenannten „Rotweininsel“ des Weinviertels, nutzt die Familie Bauer auf 40 Hektar die besonderen klimatischen Bedingungen für den Weinbau..

Diese Initiative „Wohnen beim Winzer“ ist mehr als eine Übernachtung: Es ist das Versprechen, Wein nicht nur zu trinken, sondern zu leben. Meine Unterkunft wirkt wie eine großzügige Juniorsuite – hell, modern, mit klaren Linien, eigenem Bad und einem Blick, der weit über Hof und Reben schweift. Hier könnte ich es nicht nur ein Wochenende sondern wirklich richtig lange aushalten. Auf der Anrichte stehen nicht nur Wasser und Gläser, sondern gleich sechs verschiedene Flaschen vom eigenen Weingut. Die Botschaft ist klar: Probieren erwünscht.

Das Weingut Norbert Bauer: Vielfalt und Charakter
Norbert Bauer und seine Familie führen den Betrieb in nunmehr mehreren Generationen. Das Sortiment umfasst sowohl Weiß- als auch Rotweine, wobei neben dem Grünen Veltliner besonders Zweigelt, Blaufränkisch und Cabernet Sauvignon für Aufmerksamkeit sorgen. Die Rotweininsel im Pulkautal profitiert von warmen Tagen, kühlen Nächten und einer besonderen Bodenstruktur, die den Weinen Tiefe und Ausdruck verleiht.
Bauer versteht Wein als Handwerk mit Fingerspitzengefühl. Die Lese erfolgt selektiv, vieles wird in Handarbeit gemacht. Im Keller trifft moderne Technik auf das Wissen vergangener Generationen. Bei der Verkostung spüren wir die Handschrift des Winzers: klare, sortentypische Weine, die sowohl Solo als auch als Essensbegleiter glänzen.
Abend im Schatzgarten: Wein, Würste und weite Sicht
Kaum habe ich die Tasche abgestellt, sitze ich mit Gisela im Geländewagen. Ziel: der Schatzgarten, die beste Lage der Bauers. Hier oben, an einer sanften Anhöhe, öffnet sich die Landschaft in weitem Panorama. Westlich der Reben beginnt fast wie mit dem Lineal gezogen das Waldviertel.
Eine kleine Holzhütte entpuppt sich als Kellereingang mit rustikaler Schlafgelegenheit – und als der perfekte Ort für eine Abendvesper. Gisela klappt Tisch und Bänke aus, packt Würste, Käse und frisches Brot aus, dazu schenken wir Grünen Veltliner, Riesling und Grauburgunder ein. Die Sonne sinkt, der Himmel färbt sich warm, und wir stoßen an – auf den Wein, die Gegend und diesen Moment.
Spät am Abend sinken wir, weinselig, satt und glücklich, ins Bett. Die Luft ist erfüllt von der Wärme des Tages und dem Duft der Reben.
Tag 1: Unterirdische Stadt und Windkraft vergangener Zeiten
Der nächste Morgen beginnt in Retz, im Erlebniskeller. Wir treffen uns mit der lieben Reisebloggerin Elena, die aus dieser Gegend kommt. Sie bringt noch den spanischen Videoblogger Max mit. Zusammen wollen wir das Weinviertel unsicher machen. Unter dem Hauptplatz von Retz erstreckt sich ein 21 Kilometer langes Labyrinth – bis zu 25 Meter tief in weichen Meeressand gegraben, mehrstöckig angelegt, war er einst das Rückgrat des Retzer Weinhandels.
Die Stadt Retz wurde 1279 am Kreuzungspunkt zweier wichtiger Handelswege planmäßig gegründet. Die Stadt wurde mit mächtigen Mauern, dem Graben und dem Wall bewehrt. Der Hauptplatz von Retz gilt mit seiner beeindruckenden Größe von 1,2 Hektar als einer der schönsten und größten Marktplätze Österreichs. Beherrscht wird er vom mächtigen Rathaus. Die prächtigen Barock- und Biedermeierbauten, allen voran das Verderberhaus in venezianischem Baustil und das Sgraffitohaus vermitteln südliches Flair.
Die Luft ist kühl, fast feucht, und es riecht nach Geschichte. Unser Guide erzählt von den Zeiten, als Wein in Fässern und Krügen hier lagerte und über versteckte Zugänge zu den Häusern transportiert wurde. Wir sehen Nischen, in denen Kerzen das spärliche Licht spendeten, und Treppen, die tief in die Erde führen. Schon jetzt wird klar: Im Weinviertel hat Wein nicht nur Geschmack, sondern auch Geschichte.
Nach der Rückkehr ans Tageslicht wartet das Mittagessen im Retzer Weinschlössl. Haubenkoch Julius Polak serviert regionale Küche, die Tradition und moderne Interpretation verbindet. Das Gebäude selbst ist ein ehemaliges Tröpferlbad aus der k.u.k.-Zeit, heute ein Ort des Genusses mit hohen Decken, hellen Räumen und einer Terrasse, die zum Verweilen einlädt.
Die Retzer Windmühle: Technikgeschichte im Gegenlicht
Am Nachmittag geht es weiter zur Retzer Windmühle. Das Wahrzeichen von Retz steht weithin sichtbar oberhalb der Stadt, umgeben von Weingärten. Sie ist die einzige betriebsfähige, vollständig eingerichtete Windmühle Österreichs – ein technisches Denkmal, das aus einer anderen Zeit stammt. Die Flügel drehen sich im Wind, knarren leise, während drinnen Mahlsteine und Zahnräder in Bewegung gesetzt werden. Die Flügel gewinnen die Energie, sie werden mittels Dachdrehung nach der Windrichtung aufgestellt. Auf traditionelle Weise mahlen die Mühlsteine Roggen und Weizen zu Mehl. Die Sonne steht tief, das Licht fällt golden auf die weißen Mauern. Es ist einer dieser Momente, in denen man spürt, dass hier Geschichte nicht im Museum konserviert, sondern lebendig gehalten wird.
Die seit 2010 wieder in Betrieb befindliche Windmühle hatte 1853 Baubeginn. Müller Johann Bergmann ersetzte mit ihr die alte hölzerne aus 1772. In den Jahren 1915 und 1927 wurde die Retzer Windmühle von Blitzen getroffen, die zwar Schäden verursachten, aber keine Brände auslösten. Erst 1999 wurde ein Blitzableiter montiert. Im Jahr 2000 erfolgte eine Renovierung der Mühle. In den Jahren 2009 und 2010 wurden die Flügel durch neue von einem niederländischen Unternehmen ersetzt. Am 1. Mai 2010 wurde die Mühle wieder in Betrieb genommen. Am 1. Mai jeden Jahres wird seitdem ein Mühlenfest veranstaltet. Über den Sommer ist die funktionierende Mühle zu besichtigen. 2022 jährte sich der Baubeginn der Vorgängermühle aus Holz im Jahr 1772 zum 250. Mal.Bei den Führungen wird hier auch Brot gebacken – und es schmeckt absolut köstlich.
Weinleutgeben: Barocktradition mit Geschmack
Zurück im Weingut Bauer wartet ein besonderer Abend: das Weinleutgeben. Ein alter Brauch aus der Zeit des Hochbarocks – Wein und regionale Spezialitäten werden großzügig geteilt. Wir probieren uns durch Aufstriche, Käse, Fleisch, und natürlich durch die Weine der Bauers. Es ist gesellig, herzlich, und man spürt: Hier ist Wein keine Ware, sondern Teil des Lebens.
Tag 2: Picknick am Schatzberg und ein Top-Wirt
Der Morgen beginnt mit einem gepackten Bschoart-Rucksack: Brot, Käse, Wurst, Obst, eine Flasche Wein, dazu Gläser, Servietten und eine Wanderkarte. Wir machen uns zu Fuß auf den Weg durch Kellergassen und Hohlwege hinauf zum Weinstöckl am Schatzberg. Der Anstieg ist sanft, aber der Blick oben ist großartig: Bei klarem Wetter sieht man bis zum Schneeberg. Wir setzen uns ins Gras, öffnen den Rucksack, schenken uns ein. Es ist diese Einfachheit – Brot, Wein, Aussicht –, die sich ins Gedächtnis brennt.
Die Kellergassen im Weinviertel
Anschliessend bekommen wir einen kurzen Einblick durch die Kellergassen von Zipf. In dieser denkmalgeschützten Kellergasse lagerten die Winzer schon immer ihre Weine: Außerhalb des Dorfes, nachbarschaftlich nebeneinander.
Nach der Liberalisierung des Weinanbaus im 19. Jahrhundert durch Maria Theresia und ihren Sohn Kaiser Joseph II. wurden diese Gassen mit Presshäusern und Kellerröhren meist abseits der richtigen Dörfer angelegt. Sie dienten als Produktionsstätte, für die Lagerund und für das gesellige Verkosten des Weins. Bis heute sind sie aus funktionierenden Dorfgemeinschaften nicht wegzudenken.
Über 1.000 Kellergassen gibt es im Weinviertel. Sie prägen nicht nur die Landschaft, sondern eben auch die gesamte Lebensart. Die Länge der Kellergassen beträgt im Durchschnitt 350 Meter. Zu den echten Unikaten unter den Weinkellern gehören das Kellerlabyrinth der Familie Umschaid in Herrenbaumgarten und der Retzer Erlebniskeller, der größte Keller Mitteleuropas. Sein Röhrensystem reicht zurück bis ins Jahr 1297.

Mittagessen im Retzbacherhof
Am Mittag treffen wir uns im Retzbacherhof bei Sonja und Harald Pollak. Das Wirtshaus wurde 2013 als „Top Wirt“ ausgezeichnet – und das merkt man. Die Küche ist bodenständig und doch fein, der Service aufmerksam. Wir sitzen im Salettl mit Blick auf den Kastaniengarten, genießen regionale Gerichte, die ehrlich und handwerklich sauber sind.






Besonders nachhaltig beeindruckend ist für mich der erste Gang: Ein Tatar vom Rehfilet, das an den Oberseiten nur ganz kurz angebraten wurde. Eine perfekte Kombination aus rohem Filetfleisch und Röstaromen, dazu eine leichte Knoblauchhollandaise und Toastbrot.
Nationalparkhaus Thayatal: NaturGeschichten
Am Nachmittag besuchen wir das Nationalparkhaus Thayatal. Die multimediale Ausstellung „NaturGeschichten – Thaya Tales“ nimmt uns mit in eine Landschaft, die von einer uralten Flusslandschaft, Schluchten, seltenen Pflanzen und Tieren geprägt ist. Das Thayatal ist eines der artenreichsten Gebiete Österreichs, und hier bekommt man einen Überblick, bevor man hinaus ins Gelände geht.

Der große Abend: Tafeln im Weinviertel am Schlossweingut Graf Hardegg
Am Abend ist es so weit: Tafeln im Weinviertel im Schlossweingut Graf Hardegg in Seefeld-Kadolz. Die lange Tafel steht im Park, umgeben von alten Bäumen und den Fassaden des Schlosses. Weiße Tischdecken, glitzernde Gläser, Kerzenlicht. Die Gäste nehmen Platz, während die Sonne langsam untergeht.

Bratl Carpaccio mit Kren & Unkrautsalat

Geeiste Paradeisersuppe aus Ochsenherzen mit Melone & Basilikum

Butterschnitzel vom Reh, Pilzrisotto & Pesto

Milchkalbsrücken rosa gebraten & Weinbergschnecke mit Sommergemüse & Erdäpfel-Grieß-Strudel. Die Weinbergschnecken stammen von der Wiener Schneckenmanufaktur Gugumuck. Auch hier: lokal, regional, köstlich.

Zitronencreme mit knusprigen Herzwaffeln, Erdbeeren & Honigsauce

Winzer schenken persönlich ein, Köche präsentieren ihre Gänge, und zwischen den Tellern wird gelacht, diskutiert und genossen. Wir werfen einen Blick in den Weinkeller des Schlossweingut Graf Hardegg. Mit dem Einbruch der Dunkelheit wird das Licht golden, die Stimmen leiser, und man wünscht sich, dieser Abend würde nie enden.
Tag 3: Nostalgiewelt Eggenburg
Der letzte Tag führt uns in die Nostalgiewelt Eggenburg – eine Zeitreise in die 50er- und 60er-Jahre mit originalen Fahrzeugen, Möbeln und Alltagsgegenständen.

Weinlandhof Baier: Kulinarischer Ausklang
Zum Mittagessen geht es in den Weinlandhof der Familie Baier in Ziersdorf. Ein klassisches Wirtshaus, das auch internationale Küche bietet. Der Weinlandhof ist ein gutbürgerliches Gasthaus mit angenehmen Ambiente, typischer Weinviertler Gastlichkeit und liegt direkt an der Horner Bundesstraße. Es ist der passende Abschluss: bodenständig, herzlich, gut.


Fazit: Warum „Tafeln im Weinviertel“ mehr ist als ein Dinner
Wer zu den „Tafeln im Weinviertel“ kommt, bekommt mehr als gutes Essen und Wein. Man wird Teil einer Landschaft, ihrer Geschichte und ihrer Menschen. Man spürt, dass hier alles zusammengehört: die Reben, die Köche, die Gastgeber, die Gäste. Es verbindet Essen, Wein, Landschaft und Gemeinschaft zu einem Erlebnis, das bleibt – lange nachdem das letzte Glas geleert ist. Es ist ein Erlebnis, das weit über den Teller hinausgeht – und das man so schnell nicht vergisst.
Disclosure: Wir verbrachten eine kurze, doch unvergesslich schönen Zeit im Weinviertel. Wir danken für die Einladung, ohne die dieser Artikel nicht möglich gewesen wäre. Dennoch bleibt unsere Meinung nicht käuflich. Destinationen, Hotels und Restaurants überzeugen und begeistern mit ihrer Leistung. Dafür nochmals herzlichen Dank!