Die Luft ist frisch, würzig, klar. Ein Hauch feuchter Erde liegt in der Nase, als sich der Blick hebt: saftig-grüne Almwiesen, steile Waldflanken, darüber das karge Gestein des Zahmen Kaisers, der sich wie eine schroffe Krone über das Tal erhebt. Wir gehen wandern im Kaiserwinkl. :Hier, zwischen Walchsee und Kössen, beginnt eine Reise, die weniger von großen Attraktionen als von kleinen Wundern lebt. Eine Wanderung durch den Kaiserwinkl, jenes unaufgeregte Eck Tirols, das mit ehrlicher Gastfreundschaft, bäuerlicher Kultur und kraftvoller Natur überzeugt. Wer hier wandert, lässt nicht nur die Hektik des Alltags hinter sich – sondern taucht ein in eine Welt, in der Almkäse, Holzofen und Kuhglocken noch zum echten Leben gehören.
Der Kaiserwinkl: Wo Tirol besonders wird
Der Kaiserwinkl liegt im Nordosten Tirols, direkt an der Grenze zu Bayern. Eingebettet zwischen dem wilden Zahmen Kaiser, dem sanften Chiemgau und den Kitzbüheler Alpen, umfasst die Ferienregion die Orte Walchsee, Kössen, Schwendt und Rettenschöß. Während Walchsee mit seinem gleichnamigen See als sommerlicher Badeort beliebt ist, zieht Kössen Wanderer, Radfahrer und Gleitschirmflieger in die luftigen Höhen. Die Landschaft ist weitläufig, aber nie leer – geprägt von satten Wiesen, traditionellen Bauernhöfen und Almen, auf denen nicht nur Tiere, sondern auch uralte Lebensformen gepflegt werden.

Die Nähe zur deutschen Grenze macht den Kaiserwinkl leicht erreichbar, gleichzeitig ist er angenehm ursprünglich geblieben. Wer hierher kommt, sucht keine Inszenierung – sondern echtes Leben. Und genau das offenbart sich Schritt für Schritt, Alm für Alm, Kuh für Kuh.

Wandern im Kaiserwinkl: Hike and Bike zu des Kaisers schönsten Hütten
Der Kaiserwinkl ist mit 200 Kilometern markierten Wanderwegen und 70 Kilometern Bikerouten ein wahres Paradies für Aktivurlauber. Auf dem Berg hat der Urlauber die Qual der Wahl: Rund 30 Hütten verlocken zur Einkehr. Wem Biker und Wandern nicht genug ist, versucht es mit Golf, Tennis und Wassersport. Das ultimative Highlight des Urlaubs sollte ein Gleitschirm- oder Drachenflug sein.

Tour 1: Aufstieg zur Burger Alm – Käse, Kühe und Kaiserschmarren
Der Weg zur Burger Alm beginnt oberhalb von Rettenschöß, einem kleinen Ort, der fast übersehen wird, wenn man nicht weiß, wie viel Tirol sich hinter seinen Wiesen versteckt. Der Anstieg ist mäßig steil, gut beschildert und führt durch lichte Wälder, über Kies und Wurzelwerk, begleitet vom Murmeln eines kleinen Bachs. Nach etwa eineinhalb Stunden öffnet sich die Landschaft – und da liegt sie: die Burger Alm, ein Ensemble aus traditioneller Hütte, Holzterrasse und weitläufiger Weidefläche, auf der rund 35 Milchkühe und etwa 50 Stück Jungvieh grasen.


Es ist Anton Fahringer, der gemeinsam mit seiner Frau Marta seit zwanzig Jahren die Alm betreibt – mit viel Herz, klarer Philosophie und konsequenter Qualität. Der Käse, der hier produziert wird, hat längst Preise gewonnen: Almkäse, Bergkäse, Bockshornklee, Tilsiter, Schnittlauchkäse, cremiger Weichkäse – alles entsteht aus biologischer Almmilch ohne Silage, von Hand verarbeitet, in Reifekellern gelagert. Dazu gibt es Butter, Sauermilch, hausgemachte Würste vom Rind und Schwein – und für Naschkatzen Kuchen aus Früchten, die am eigenen Obstanger wachsen. Wer möchte, kann auch einen Stamperl Obstler probieren – selbstgebrannt, versteht sich.
Heumilchkäse ist das kulinarische Markenzeichen des Kaiserwinkls. Das Besondere an diesem Käse ist der Rohstoff. Die Milch darf nur von Kühen stammen, die keinerlei gärendes Futter, also Silage, bekommen. Sondern eben nur Heu im Winter sowie naturreines Kraftfutter ohne jede Genmanipulationen.

Auch der Speck ist letztlich ein Heumilchprodukt, werden doch die Schweine als Specklieferanten mit der beim Käsen anfallenden Molke gefüttert. Die Burger Alm ist unter den sechs Heumilchkäsereien des Kaiserwinkls die einzige, auf der die Milch nur der eigenen Kühe verarbeitet wird.
Wie sehr sich der Ruhm der Köstlichkeiten, die auf dieser Alm produziert werden, herumgesprochen hat, zeigt ein Blick auf die Tische auf der Terrasse, an denen selten ein Platz frei ist. Doch im Alpenland gilt da gern die Devise zu einem Tisch zu gehen, an dem noch Plätze frei sind und zu fragen, ob man sich dazusetzen kann. Die Antwort ist fast immer „Ja, hock Di‘ her, dann samma mehra!“

Die Terrasse wurde erst kürzlich erweitert – mit freiem Blick bis zu den Hohen Tauern und bei klarer Sicht sogar bis zum Großglockner. Überall werden Jausenteller serviert mit verschiedenen Käsen, Speck, Wurst und Bauernbrot. Es sind alles Genießer, die den lange Weg hier herauf nicht scheuen. Kulinarische Gourmands sind es, Kenner und Liebhaber all der anderen Genüsse, mit denen diese Genussregion vor der imposanten Kulisse der gezackten Bergmajestäten Zahmer und Wilder Kaiser gesegnet ist. Wer länger bleiben möchte, kann eines der einfachen, gemütlichen Zimmer mit Frühstück buchen (35 € pro Nacht) oder sich als Gruppe in der Selbstversorgerhütte einmieten (10 € pro Nacht, max. 12 Personen).
Die Geschichte der Alm reicht weit zurück – über hundert Jahre ist sie alt, der Käse wird seit mehr als drei Jahrzehnten vor Ort produziert. Der Ort atmet Geschichte und Gegenwart zugleich, bäuerliche Kontinuität und neue Lust an Qualität. Geöffnet ist die Alm bis Anfang November, die Kühe bleiben meist bis Mitte Oktober oben. Wer Tirol in seiner ursprünglichsten Form erleben will, findet hier einen idealen Einstieg.

Tour 2: Frühtour zur Harau Alm
Der zweite Tag beginnt früh – die Sonne steigt eben über den Kamm, als sich der Wanderweg zur Harau Alm durch die Wälder zieht. Es ist eine stille Wanderung, bei der das Knirschen der eigenen Schritte zum einzigen Geräusch wird. Später, wenn sich der Blick weitet, steht die Hütte da wie ein Versprechen – eingebettet in Hangwiesen, mit Blick hinüber auf die gegenüberliegenden Almen.




Das Mittagessen ist deftig und ehrlich: Tiroler Gröstl, ein Glas frische Milch, ein Stück Almkäse – hier schmeckt das Essen nicht nur nach Zutaten, sondern nach Herkunft. Die Wirtin erzählt vom Almleben, von den Sommern mit den Tieren, von den immer kürzeren Wintern. Vieles verändert sich, aber manches bleibt. Wer zuhört, merkt schnell: Die Alm ist mehr als ein Ort, sie ist ein Lebensentwurf.

Almhoamfahrn: Der Almabtrieb in Kössen
Am Nachmittag geht es hinab nach Kössen – dort wird gefeiert: Almhoamfahrn, der festliche Almabtrieb, bei dem die Tiere von den Almen ins Tal zurückkehren. Es ist ein Spektakel aus Tradition, Stolz und Musik. Kühe mit Blumen geschmückt, Hirten in Tracht, die Musikkapelle Kössen spielt auf, der ganze Ort ist auf den Beinen. Jeder Bauer bringt seine Herde zurück, und mit jedem Einzug hallt ein Stück Geschichte durch die Gassen. Es ist nicht nur ein Fest für Touristen – sondern ein Ritual, das fest im bäuerlichen Jahreslauf verankert ist.







Immer im September wird das Vieh von den Almen wieder in das Tal getrieben und wieder auf die Bauern aufgeteilt. Die Almbauern mit ihren Kühen, Schafen und Ziegen


Tour 3: Moorführung in der Schwemm
Am dritten Tag führt die Route nicht in die Höhe – sondern in die Tiefe: Die Schwemm, Tirols größtes zusammenhängendes Moor, liegt zwischen Walchsee und dem Zahmen Kaiser. Was auf den ersten Blick wie eine unscheinbare Wiesenfläche aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als komplexes Ökosystem, das seltene Pflanzen und Tiere beherbergt. Eine fachkundige Führung erschließt das Gelände, erklärt Entstehung, Nutzung und Schutz dieses empfindlichen Naturraums. Der Aussichtsturm ermöglicht einen weiten Blick über das Moor – ein stiller Ort, der kontemplativ stimmt und zeigt, wie reich und verletzlich Landschaft zugleich sein kann.
Das größte noch ungestörte Moorgebiet Tirols ist die Heimat einer ganzen Reihe von Raritäten aus Fauna und Flora. Fleischfressender Sonnentau ist hier ebenso zu Hause wie Wollgras, Sibirische Schwertlilie und zahlreiche Orchideenarten. Auch die Vogel- und Insektenwelt fühlt sich hier wohl. Zu beobachten sind unter anderem Zweglibellen, Krickenten, Baumfalken oder Kiebitze.



Auch so selten gewordene Reptilien wie Bergeidechse, Kreuzotter und Ringelnatter sind gelegentlich anzutreffen. Von weltgeschichtlichen Ereignissen blieb Walchsee weitgehend verschont. Selbst die Römer, die den Ruf haben, überall gewesen zu sein, beschränkten sich auf die große Handelsstraße durch das Inntal. Der Walchsee blieb unberührt.

Tour 4: Outdoor-Paradies Unterberghorn
Anschließend bringt die Seilbahn hinauf auf das Unterberghorn – der Kontrast könnte kaum größer sein: Wo eben noch stille Moorvegetation dominierte, herrscht hier oben alpine Betriebsamkeit. Mountainbiker rauschen über Trails, Gleitschirmflieger und Drachenflieger starten von der Kuppe in die Thermik.






Das ultimative Highlight des Urlaubs sollte ein Gleitschirm- oder Drachenflug sein. An den Berghängen des Wilden Kaisers steigt im Somer warme Luft auf, die Thermik, die Paragleiter brauchen, um ihren Sport auszuüben. Kössen im Kaiserwinkl ist ein Paradies für Hängegleiter und Gleitschirmpiloten. Wer gerne selbst einmal zum Kaiser der Lüfte werden will, kann bei der Flugschule Kössen einen Tandemflug mit einem erfahrenen Fluglehrer buchen.


Der Blick reicht weit – über die Kitzbüheler Alpen, hinüber ins bayerische Voralpenland, zurück bis zum Walchsee. Es ist ein würdiger Abschluss dieser kleinen Wanderreise: oben, frei, weit.

Tag 5: Noch vielfältiger – Radwandern durch den Kaiserwinkl
Die Orte Kössen und Schwendt sind dem „Mountainbike-Modell Tirol“ angeschlossen. In einer Gemeinschaftsaktion von Waldbesitzern, Weginteressentenschaften, Grundeigentümern und den Gemeinden gelang es, eine ganze Reihe neuer Wege fürs Mountainbiken und Radeln zu öffnen. Das Angebot reicht vom familienfreundlichen Radwanderweg bis hin zur anspruchsvollen Mountainbike-Tour, Gipfelerlebnis inklusive. Doch es geht natürlich auch gemütlicher. Wer den Kaiserwinkl einmal komplett per Rad erkunden will, dem sei eine Strecke besonders ans Herz gelegt.
Auf einer 20 Kilometer langen, landschaftlich besonders reizvollen Strecke zeigt sich die Region von ihrer schönsten Seite. Der Radwanderweg führt von Kössen aus nach Walchsee, rund um den gleichnamigen See, nach Schwendt und wieder zurück nach Kössen. Radler mit viel Kondition können verschiedene Extratouren oder einige Schwimmrunden im Walchsee einbauen, der wegen seines Moorgehalts gesundheitlich wertvoll ist. Viele bauliche Besonderheiten, wie zum Beispiel Gedenk-Kreuze, auf tirolerisch „Marterln“ genannt, die überlebensgroße „Lederer-Herrgotts“-Statue in Schwendt oder die vielen traditionsreichen Unterländer Bauernhöfe, machen diese Radtour zu einem nostalgischen Abstecher in die Vergangenheit.


Ein Fazit in Wanderschuhen
Wandern am Walchsee oder im Kaiserwinkl in Tirol ist keine Postkartenidylle. Es ist auch kein Hochglanz-Tourismus. Es ist ein stiller, echter Zugang zu einer Region, die vieles von dem bewahrt hat, was anderswo längst verloren ging: bäuerliches Leben, ehrliche Gastfreundschaft, kulinarische Qualität ohne Show. Wer bereit ist, sich einzulassen – auf den Weg, auf das Wetter, auf die Menschen –, der wird belohnt: mit Eindrücken, die nicht lauter sind als nötig, aber tiefer wirken als erwartet. Und mit dem Gefühl, dass Tirol dort am schönsten ist, wo es nicht gefallen will – sondern einfach da ist.

Disclosure: Wir verbrachten eine kurze, doch unvergesslich schöne Zeit in Kaiserwinkl. Wir danken für die Einladung, ohne die dieser Artikel nicht möglich gewesen wäre. Dennoch bleibt unsere Meinung nicht käuflich. Destinationen, Hotels und Restaurants überzeugen und begeistern mit ihrer Leistung. Dafür nochmals herzlichen Dank!