Es gibt Orte, an denen Geschichte spürbar wird – und solche, an denen sie weitergeschrieben wird. Das Tantris in München ist beides. Seit mehr als fünf Jahrzehnten zählt das Restaurant zu den wichtigsten Adressen der deutschen Hochküche. Doch wer glaubt, hier ruhe man sich auf vergangenen Sternen aus, irrt.
Seit dem Relaunch im Jahr 2021 unter der Leitung von Matthias Hahn und der Eigentümerfamilie Eichbauer ist das Tantris nicht nur äußerlich renoviert, sondern konzeptionell neu aufgestellt. Herzstück bleibt das Menürestaurant im ikonischen Bau aus Beton, rotem Teppich und dramatischer Innenarchitektur – ein Gesamterlebnis für alle Sinne.
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Neue Linie, klare Handschrift: Benjamin Chmura
Mit der Verpflichtung des talentierten Deutsch-Kanadiers Benjamin Chmura im Jahr 2021 als Executive Chef begann nach der langen Modernisierung der gesamten Küche ein neues Kapitel. Chmura ist der Sohn des erfolgreichen schlesisch-israelischen Dirigenten Gabriel Chmura, der zwei Jahre vor der Geburt seines Sohnes von Bochum an das Orchester des National Arts Centre Ottawa wechselte. Er wuchs in Brüssel auf – und spricht somit fliessend deutsch und französisch.
Der charismatische Spitzenkoch, der bei Paul Bocuse und Marc Haeberlin lernte, später jüngster Küchenchef im 3-Sterne-Haus von Michel Troisgros wurde und rund um den Globus Kocherfahrung sammelte, verleiht dem Tantris eine frische Handschrift – klar französisch geprägt, aber dennoch modern und präzise inszeniert. Benjamin Chmura ist nach Eckart Witzigmann, Heinz Winkler und Hans Haas erst der vierte Küchenchef in einem halben Jahrhundert.
Die Handschrift von Chmura: französisch, fokussiert, feinfühlig
Wer im Tantris diniert, merkt schnell: Hier geht es nicht um Show. Sondern um Substanz. Um Produkte, deren Essenz zur Geltung gebracht wird. Chmura verzichtet bewusst auf technische Mätzchen oder aufwändige Teller-Architektur. Stattdessen stehen harmonische Aromen, perfekte Garzustände und souverän reduzierte Präsentationen im Vordergrund.
Seine Küche ist dabei nicht „besser“ als jene von Hans Haas, sondern anders: französischer in der Grundstruktur, strukturierter im Aufbau, etwas opulenter in den Saucen. 13 Jahre leben und arbeiten in Frankreich – wohlgemerkt in einigen der besten Küchen des Landes – haben Benjamin Chmura geprägt und seine Handwerkskunst stark beeinflusst. Er kocht groß auf und präsentiert großartige französische Hochküche. Als Sabine und Felix Eichbauer den künftigen Küchenchef suchten, ging es ihnen darum die französischen Wurzeln des Tantris wieder aufleben zu lassen. Benjamin Chmura bringt die „art de vivre à la francaise“ wieder ins Tantris. Nicht umsonst titelten manche Medien bei der Stabübergabe Überschriften wie „Zurück in die Zukunft“ etc.
Die Küche von Hans Haas – bodenständig, produktverliebt, von österreichisch-bayerischer Seele durchzogen – lebt heute im Werneckhof bei Sigi Schelling weiter. Auch darüber wirst Du bei uns bald lesen können.
Die Neuerfindung: Zwei Restaurants, ein kulinarisches Konzept
Während das Tantris DNA im Gartensalon Klassiker aus fünf Jahrzehnten Tantris à la Carte serviert – mit Rezepturen von Legenden wie Hans Haas oder Eckart Witzigmann –, bleibt das Tantris selbst der Tempel der Menü-Küche. Für diesen Artikel konzentrieren wir uns auf das Menürestaurant. Mein Bericht über das Tantris DNA folgt bald in einem eigenen Artikel.

Der Architekt im Hintergrund: Matthias Hahn
Hinter der stilistischen Neuausrichtung des Hauses steht Executive Chef Matthias Hahn, der Strategieberater der Eigentümerfamilie Eichbauer. Seine Vision: Das Tantris, dieses denkmalgeschützte Walhalla der deutschen Gourmandise, nicht neu erfinden, sondern konsequent weiterdenken – mit Mut, aber ohne Bruch. Das Konzept, zwei Restaurants mit klar unterscheidbaren kulinarischen Erlebnissen zu etablieren, geht auf. Und es ist bemerkenswert, wie modern das Ensemble wirkt, ohne modisch zu sein.

Architektur & Atmosphäre: Ikonisch wie am ersten Tag
Hummerrot und trüffelschwarz: So präsentiert sich der Gourmet-Tempel in München-Schwabing von Anfang an. Es gibt Orte, deren Ästhetik man nicht erklären muss. Die rot-orange-geflammte Teppichwelt von Justus Dahinden, das organische Interior, die betongraue Brutalismus-Fassade – all das wirkt im Tantris nicht alt, sondern archaisch-modern. Die Kulisse, in der heute wie damals Hedonismus gefeiert wird, bleibt ein visuelles Erlebnis – zwischen Kirche, Theater und Kunstinstallation.

Was das Tantris besonders macht, ist das Zusammenspiel von Raum und Küche. Die Architektur wirkt wie ein Relikt aus einer anderen Zeit – futuristisch, dramatisch, fast sakral. Rote Teppiche, schwarze Decken, Nischen, in denen man sich fast wie in einem Theater fühlt. Und doch passt es – gerade heute wieder. Denn in einer Welt, in der immer mehr Restaurants auf reduzierte Coolness setzen, ist das Tantris ein Ort, der Stil und Haltung vermittelt. Kein Museum, sondern Bühne.


Das Menü im Tantris: Ein Abend, zehn Gänge, pure Präzision
Der Abend beginnt ohne große Show, dafür mit Tiefgang. Die verschiedenen Brotsorten und die Buttervariationen, die gereicht werden, sind eine Herausforderung. Sie schmecken alle so dermassen köstlich, dass ich mir auch vorstellen könnte, einen Abend nur mit bei Brot und Butter zu verbringen – also diesem Brot und Butter. Aber nein, ich möchte ja das köstliche Menü geniessen können.
Das 7-Gänge-Menü lässt sich auf bis zu zehn Gänge erweitern. Benjamin Chmura feiert in der in stylischem Rot und Schwarz errichteten Beton-Kathedrale in Schwabing seine Interpretation von niveauvoll zelebriertem Hedonismus, die pure Freude am opulenten Genuss.
Wir fanden hier den Saucengott! Pure französische Klassik in exzellenter Ausführung, eine geschmackliche Tiefe, die unübertroffen bleibt. Die kulinarischen Kreationen wirken in ihrer lässigen und dabei sehr souveränen Fokussierung auf das Wesentliche, für die konsequent auf kleinteilige Basteleien verzichtet wird, sowohl optisch als auch aromatisch bewundernswert markant. Anstelle von aufwändigen technischen Details werden hier oft die bestmöglich herausgearbeiteten natürlichen Eigenschaften von Produkten genutzt.
Die Küche schickt sechs Amuse-Bouches gleichzeitig – auf kleinen Tellerchen arrangiert, farblich wie geschmacklich fein aufeinander abgestimmt. Ein gelungener Auftakt, der gleich mehrere aromatische Räume öffnet. Es sind alles One-Bite-Happen, die mit unterschiedlichen Geschmackstiefen und Texturen schon ein wunderbares Vorspiel bieten.
Karamellisierte Zwiebel, Apfel, Schnittlauch – ein Spiel aus Süße und Frische, geschichtet wie ein Miniatur-Tartelette, dabei klar und direkt.
Sellerie, Kürbis, Walnuss – herb, cremig, mit leichter Röstnote. Der Herbst auf einem Löffel.
Rote Bete, geräucherter Bottarga, Ingwer – erdig und jodig, mit fein dosierter Schärfe.
Spinat croustillant, Navette, Liebstöckel – grün, würzig, mit knusprigem Kontrast.
Cannelé mit Meeräsche und Grapefruit – die wohl ungewöhnlichste Kombination: süß, salzig, zitrisch. Funktioniert überraschend gut.
Champignons, Shiitake, Pedro-Ximénez-Vinaigrette – dunkel, warm, mit umamireicher Tiefe.

Provence: Grüner Spargel | Mandel | Anis
Ein bildschöner Gang. Der Spargel zart, aber mit Biss. Dazu eine feine Mandelsauce, in die sich ein Hauch Anis mischt – kaum wahrnehmbar, aber richtungsweisend im Abgang. Frühling auf elegante Art.

Plongée: Jakobsmuschel | Périgord-Trüffel | Vin Jaune
Der erste große Wurf des Abends. Die Jakobsmuschel perfekt gebraten, nussig und weich zugleich. Der Trüffel – nicht als Hauch, sondern in großzügiger Qualität – bringt Erdigkeit. Der Vin Jaune zieht als feine Sauce die Komponenten zusammen. Es riecht, schmeckt und fühlt sich an wie ein Spaziergang durch den Jura.

Petit Bateau: Rotbarbe | Sepia | Kapern
Mediterrane Direktheit. Die Rotbarbe mit kräftigem Eigengeschmack, überzogen von einer schwarzen Sepia-Sauce – leicht rauchig – und frittierten Kapern, die für Salzigkeit und Spannung sorgen. Ein leichter, zugleich aromatisch dichter Zwischengang.



Ferme: Kalbsbries | Zunge | Sauce au Poivre
Hier zeigen sich Chmura und sein Küchenteam als Meister der Saucen. Die Sauce au Poivre: tief, würzig, fast fleischig. Das Bries perfekt gegart, außen goldgelb, innen cremig. Die Zunge als kleine Einlage bringt Textur und Gewicht. Und alles eingerollt in ein Radicchio-Blatt. Ein Gang wie ein Klassiker der Haute Cuisine – neu gedacht.


Forêt: Hirsch | Beeren | Grand Veneur
Der Hauptgang überrascht durch seine Ruhe. Hirschrücken, rosa gegart, von makelloser Qualität. Die Beeren, teils in der Sauce, teils als Topping, bringen Frucht und Frische. Die Grand-Veneur-Sauce klassisch angesetzt, mit einer Tiefe, die das Fleisch nicht überlagert, sondern unterstützt.

Champ: Birne | Heu | Getreide
Zum Abschluss ein Dessert, das auf Überladung verzichtet. Birneneis mit feiner Heunote, begleitet von einem Getreidekeks, der Textur gibt. Dazu Birne in flüssiger Form – in destillierter Version. Kein Zuckerschock, kein Spektakel – sondern ein leiser, fast nordischer Schlussakkord, der den Abend würdig ausklingen lässt.






Service & Leitung: Präzision ohne Attitüde
Ein Ort wie das Tantris funktioniert nur mit einem exzellent eingespielten Team. Besonders hervorzuheben ist das außergewöhnliche Führungsmodell im Service: Mit Jenny Lang und Maximilian Sierk-Paul leisten sich die Eichbauers zwei gleichrangige Restaurantleiter allein für das Tantris, die sich die Verantwortung teilen – ein Modell, das in der Spitzengastronomie selten, aber überaus effektiv ist.
Beide agieren mit Charme, Ruhe und Souveränität. Der gesamte Service ist perfekt, diskret, geräuschlos und gleichzeitig immer präsent, wenn man ihn braucht – so muss es sein. Kein Chichi, kein peinlicher Pathos, sondern aufmerksame Professionalität mit Herzlichkeit.

Fazit: Tantris bleibt Tantris – nur französischer
Ein Abend im Tantris ist kein bloßes Essen. Es ist ein Erlebnis. Ein Ritual. Eine Einladung, sich auf höchste Handwerkskunst, kompromisslose Produktqualität und ein stilistisches Statement einzulassen, das seinesgleichen sucht.
Das Tantris ist heute nicht mehr das Tantris der 1980er oder 1990er Jahre. Es ist anders, französischer – und dabei seiner DNA treu geblieben. Es geht nicht um Spielereien oder modischen Perfektionismus. Es geht um Produktqualität, um Technik, um Tiefe. Es geht um Saucen, um Texturen, um die Kunst, Aromen wirken zu lassen, ohne sie zu überinszenieren.
Benjamin Chmura führt das Haus mit sicherer Hand. Und Matthias Hahn hat mit der strategischen Neuausrichtung die Bühne geschaffen, auf der diese Art des Kochens zur Geltung kommt.
Ein Besuch im Tantris ist und bleibt ein besonderes Erlebnis. Wer das Tantris heute besucht, erlebt kein Nostalgie-Dinner, sondern eine ernstzunehmende Position im internationalen Fine Dining. Mit Haltung. Mit Geschmack. Und mit Zukunft.
Disclosure: Dieser Beitrag erschien in abgewandelter Kurzform im Magazin „Mein München Genuss“ aus dem Ippen Verlag, zu dem ich mehrere Artikel beigesteuert habe.
Wir verbrachten eine kurzen, doch unvergesslich schönen Abend im Tantris. Wir danken für die Einladung, ohne die dieser Artikel nicht möglich gewesen wäre. Dennoch bleibt unsere Meinung nicht käuflich. Destinationen, Hotels und Restaurants überzeugen und begeistern mit ihrer Leistung. Dafür nochmals herzlichen Dank!