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Tricastin: Ein Land für Entdecker

by Bettina Louise Haase

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Immer seltener findet man zeitlose Orte. In Frankreich gibt es sie noch. Zum Beispiel das Departement Drôme, das an der „Route du soleil“ von Lyon nach Marseille liegt. Hier weht von der Provence her bereits ein südlicher Wind über das Land. Die Menschen haben noch Zeit, Entfernungen werden in Stunden angegeben – oder man hält seelenruhig an, um den Weg zu erklären. Unsere Co-Autorin Bettina Louise Haase ging auf Zeitreise in das Tricastin.

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Die Drôme ist ein stilles Departement für Genießer in Frankreich. Bei Valence reifen kraftvolle Weine. In der Mitte ist die Drôme lieblich und hügelig, hier schlängelt sich das Flüsschen Drôme durch die Landschaft. Auf der Anhöhe liegende Dörfer gibt es überall, uralte Steinhäuschen um ein Steinschloss und eine Steinkirche, umringt von einem Wall. Einige von diesen Dörfern erinnern nur noch an Steinhaufen, andere sind von Künstlern liebevoll restauriert.

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Contents

Tricastin: Nougat aus Montélimar

In Montélimar existiert seit langer Zeit die Tradition des Herstellens von Nougat aus einer Masse von Lavendelhonig, Mandeln, Eiweiß und Zucker. „Ursprünglich kommt das Rezept aus dem Orient“, sagt Hervé Contaux und rührt mit einem überdimensionalen Holzlöffel in einer zähen, weißen Masse. Er ist Spezialist für die Herstellung des Montélimarer Nougats, das nur entfernt an Türkischen Honig erinnert. Einst brachten arabische Einwanderer das Rezept in die Provence. Doch hier wurde es nach französischer Raffinesse mit erlesenen Zutaten verfeinert: In Contaux Riesentopf kochen Lavendelhonig, Zucker, Eiweiß, Mandeln und Pistazien fünf Stunden ein, bis eine weiche Masse entsteht. Diese wird mit dem großen Holzschaber und viel Schwung in flache, rechteckige Tafelformen „gezogen“, wie die Franzosen sagen, und nach einer Dreiviertelstunde Abkühlung geglättet. Die Nougat-Schneidemaschine gibt dem Mandelbonbon den letzten Schliff und teilt die Tafel in 0,5 Zentimeter dicke Dominosteine. „Bei uns wird Nougat besonders am Weihnachtsabend gegessen“, sagt Contaux. Und tatsächlich kann die süße Melange aus Honig und Nüssen der Abschluss eines wunderbaren Festtagsmenüs sein.

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Tricastin: Alles läuft langsamer

Der Spätherbst ist in der Drôme provençale eine geruhsame Jahreszeit. Nach der Saison hat sich der große Trubel gelegt. Das Land und seine Bewohner atmen auf. Man trifft sich ohne Eile auf ein Gläschen Rotwein im Café, spielt Boule oder parliert in der Mittagssonne bei einem Salade Chèvre Chaude mit den Freundinnen in einem der vielen Restaurants. Stress scheint es hier nicht zu geben. Alles läuft langsamer – jeder Tag ist ein Genuss, jede Minute, jede Sekunde.

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Tricastin: Das Erbe der Kelten

Südöstlich von Montélimar liegt das Tricastin. Es ist nach dem Keltenstamm der Tricastini benannt, der sich hier lange vor den Römern ansiedelte. Um dorthin zu gelangen, nimmt man von Montélimar aus die gut ausgebaute D 540 in östlicher Richtung. Mondäne Weingüter wie die Domaine de l’Orgeat säumen mit einer Zypressenauffahrt den Weg. Völlig im Dornröschenschlaf versunken scheint das kleine Bergnest Châteauneuf-de-Mazenc, das nach etwa 18 Kilometern auftaucht. In den 1950er Jahren kamen Künstler an diesen Ort und bauten aus den Steinen der Ruine der Burg einige mittelalterliche Häuser wieder auf, um sich dort ihre Ateliers einzurichten. Inzwischen gibt es nur noch zwei Ateliers und kein Café – doch dafür einen grandiosen Ausblick auf die grün-blaue Landschaft der Provence.

tricastin bettina haase 07_drome_weingutDer nächste Ort auf der Landstraße in Richtung Dieulefit, Le Poët-Laval, ist ebenfalls uralt und liegt auf einem Hügel. In Südfrankreich werden diese Dörfer „villages perchés“ genannt, was übersetzt soviel wie „Dorf hoch auf dem Hügel“ heißt. Zwischen mittel­alterlich engen Gassen findet man einen ungewöhnlich charmanten Platz: Hier hat „La Bouquinerie“ eröffnet. In diesem Salon wird zu hauchdünnen Tartes Tee serviert, alte und neue Bücher warten in den Regalen auf ihre Leser.

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Dieulefit vier Kilometer weiter wirkt nur auf den ersten Blick unscheinbar. Versteckt am Ende des Ortes liegt das „Maison de la Céramique“, das örtliche Keramikmuseum, das einige bedeutende Künstler hervor gebracht hat. Auch die „Galerie Nadja B.“ in der Rue Gabriel Péri lässt sich schwer finden und sieht von außen nach nichts aus. Doch innen stellen Künstler der Gegend Keramikplastiken aus, die durch ihre ungewöhnliche Oberflächenstruktur auffallen. Die Technik heißt „Raku“: Beim komplizierten Brennverfahren im Ofen versucht man, die Oberfläche durch hohe Temperatur zum Aufplatzen zu bringen.

Nach Dieulefit erreicht man auf der D 538 in südlicher Richtung Taulignan. Das dortige Seidenmuseum ist noch nicht lange geöffnet: Ein kurzer Film erzählt von der Geschichte der Seidenproduktion in der Region. In der ersten Etage laufen verschiedene alte Maschinen auf Knopfdruck und spulen den Faden von den Kokons der Seidenraupe auf Garnrollen.

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Tricastin: Wunderbare Seidenträume zum Anziehen

„Françoise-Marguerite de Sévigné brachte ihre Seidenstoffe aus Paris mit“, erklärt etwas später Laurence, eine junge Führerin, im Empfangszimmer des Schlosses Grignan. Dabei fährt sie mit der Hand stolz über die langen Vorhänge des Himmelbettes, auf die kleine Vögel und Blumen gemalt sind. „Im 17.Jahrhundert kam die Chinoiserie in Mode“, sagt sie zu den filigranen Mustern, „doch bemalte Seide gab es sehr selten.“ Mit ihrem langen schwarzen Rock, dem taillierten Cord-Jackett und den Stiefeletten sieht Laurence selbst aus wie eine Bewohnerin des Château de Grignan. Sie kennt jedes Detail und zeigt dem Besucher Wunder, „miracles“, die sie fast in jedem Raum ausmacht: Eines davon ist das kostbar verzierte Cabinet, ein Möbel, das in der Renaissance ausschließlich Repräsentationszwecken diente. Vorsichtig öffnet sie die zwei kleinen Flügeltüren, und das Innere des Cabinets gibt den Blick frei auf einen Miniaturraum aus Holzintarsien, der ein kleines Theater sein könnte.

Großes Theater gab es schon 1669 in Grignan. Damals heiratete der Comte François de Grignan, der letzte Graf der Familie Montéil-Adhémar, Françoise-Marguerite de Sévigné. Der Graf war Statthalter Ludwig XIV. in der Provence, Mademoiselle Sévigné galt als Frankreichs begehrteste Partie und hatte vorher sogar den König selbst abblitzen lassen. Durch diese Verbindung rückten Versailles und Grignan näher zusammen. Mama Marquise de Sévigné war todunglücklich über den Verlust der geliebten Tochter und schrieb ihr wöchentlich aus Paris insgesamt rund 700 Briefe über die Ereignisse am Hofe Ludwig XIV. Auf drei beschwerlichen Reisen kam die Marquise, die als „épistulaire“ in die Geschichte der französischen Literatur einging und das Genre der geistreichen Briefliteratur prägte, selber in die Provence.

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Vom vornehmen Flair hat Grignan seitdem nichts verloren. In der Umgebung empfindet man das Städtchen als den elegantesten Ort weit und breit. Die riesigen Terrassen des Schlosses lassen nahezu eine 360-Grad-Sicht auf die Umgebung zu, die Zimmer sind völlig restauriert und anhand von Listen, die man durch Zufall nach der Revolution gefunden hatte, wieder mit den Original-Stoffen und Möbeln ausgestattet worden.

Auch damals genossen die hohen Herrschaften die schon in der Bibel als „pommes d’amour“ bezeichneten Trüffel, für die die Region heute berühmt ist. Eine Anekdote erzählt, das Françoise de Grignan ein Körbchen der Edelpilze nach Paris schicken ließ, wo Maman mit verschiedenen Geistlichen und Molière ein Trüffelessen organisierte. Ein Kardinal rief beim Genuss der Trüffel entzückt „Tartuffoli“ aus, wonach Molière seinen etwas zwiespältigen Charakter „Tartuffe“ benannte.

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Das Zwiespältig-Komische haben die schwarzen Kugeln bis heute nicht verloren. Allein der Gedanke an das Wachstum – Trüffel gehen eine Symbiose mit Wurzeln von Eichenbäumen ein – ist gewöhnungsbedürftig. Doch wer mindestens zehn Jahre Zeit hat, der kann mit dem schwarzen Schwamm ein Vermögen verdienen. Denn solange braucht der Pilz, bis er das erste Mal zu voller Größe gewachsen ist. Gesucht und gefunden wird er von Hunden. Sie markieren die Stelle in Erdreich, unter der sich der Trüffel verbirgt. „Schweine sind einfach unpraktisch geworden“, erklärt Trufficulteur Gilles Ayme aus Grignan, „sie wiegen fast 200 Kilo und brauchen einen Stall.“ Bis zu 1.200 Euro hat er in den vergangenen Jahren für ein Kilo Trüffel erhalten, und ist überzeugt, dass es auch heuer Trüffel geben wird. Zu welchem Preis, das verrät er nicht.
Um noch mehr über das mysteriöse Trüffelwachstum zu erfahren, schlägt man die Route nach Saint-Paul-Trois-Châteaux ein (D 71). Im dortigen Trüffelmuseum wird der Anbau des Gourmet-Pilzes anhand von Schautafeln erklärt.

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Doch die eigentliche Attraktion der Stadt ist die alte Kathedrale. Experten zählen sie zu den größten Leistungen der romanischen Baukunst. Das Fries des Eingangsportals mit den Ornamenten aus Köpfen, Eierstab und Perlschnur ist eine Meisterschöpfung der Steinmetzkunst. „La Garde-Adhémar“ in der Nähe auf dem Hügel liegend hat eine romanische Kirche aus dem 12. Jahrhundert. Blätter- und Ornamentfriese schmücken den Innenraum.
Von hier aus sind es nur noch einige Kilometer zurück nach Montélimar. Dort gibt es auch am späten Nachmittag noch genügend Sonnenplätze im „Café Des Allées“ – gerade richtig für einen Aperitif.

Service:

Tour durch das Tricastin

  • ca. 115 Kilometer, Dauer: 2 Tage
  • Anreise: mit dem Auto über die Schweiz, Genf, Lyon bis nach Montélimar
  • Märkte: Produkte der Region: Montag: Chamaret, Dienstag: Grignan, St.-Paul-Trois-Châteaux, Mittwoch: Montélimar, Donnerstag: Nyons, Freitag: Dieulefit, Taulignan, Samstag: Montélimar
  • Markt in Nyons: Die Drôme ist gewissermaßen ein einziger Marktplatz, mit bunten Märkten in verschiedenen Dörfern und Städten an verschiedenen Tagen. Einer der schönsten ist donnerstags in Nyons, wo auch die Einheimischen ihre Körbe füllen: Früchte, Oliven (aus Nyons), Gemüse, Pflanzen, bunte Bast- und Stofftaschen, hübsche Kleider, kaum Tand – sonntags nur bis Mitte September, donnerstags das ganze Jahr;
  • weitere Märkte: Produkte der Region: Montag: Tulette, Dienstag: Grignan, St.-Paul-Trois-Châteaux, Mittwoch: Montélimar, Buis-Les-Baronnies, Donnerstag: Nyons,
  • Freitag: Dieulefit, Taulignan, Samstag: Montélimar

Museen und Führungen:

  • Nougatherstellung in Montélimar: „Le Chaudron d’Or“, täglich Führungen, morgens Nougatherstellung;
  • Seidenmuseum Taulignan, Öffnungszeiten jeden Tag außer Dienstag 10-12.30 und 14 bis 18 Uhr, 1.Januar bis 14.Februar geschlossen, Juli und August nonstop geöffnet, Führung in diesem zwei Monaten am Donnerstag um 11 und 15 Uhr ohne Reservierung
  • Château de Grignan, Öffnungszeiten täglich 10.30-12.30 Uhr und 14.00-18.00 Uhr, Juli und August 10-18 Uhr;
    ab November: Trüffelwochenenden bei Trufficulteur Gilles Ayme, Domaine de Bramarel, Tel: 04 75 46 52 20; Visite dans les Truffuer, travail des Ciens,
    November-März: samstags größer Trüffelmarkt der Welt in Richerenches;
  • Trüffelmuseum Sankt Paul Trois Châteaux, geöffnet: Di-Sa 9.30-12.00 und 14.00 bis 18.30

Veranstaltungen:

  • Jazz in Grignan, verschiedene Konzerte im November im Collège des Schlosses von Grignan

Hotel:

Restaurants:


PS: Ja, natürlich gibt es auch das riesige, potthässliche Kernkraftwerk Tricastin, genau an der Rhône gelegen. Wer mit einem der beiden Schiffe der A-Rosa Flussschiffkreuzfahrten die Rhône von Lyon nach Arles entlangfährt, kommt automatisch daran vorbei und wird von der gigantischen Schleuse beeindruckt sein. Aber wir wollten Euch auch gern die schönen Seiten dieses Départments aufzeigen.


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8 comments

たびダニ 11. Oktober 2016 - 23:10

Zeitlose Orte, tolle Fotomotive und wunderbares Essen. Das habe ich auch gerade auf meiner Frankreichreise durch die Provence erleben dürfen.

Dazu unglaublich nette Menschen, anders als ich es erwartet und erzählt bekommen habe (die sprechen kein Englisch…).

Der Artikel zeigt mir wunderbar, dass ihr nicht alleine mit unseren Erfahrungen waren. Frankreich hat mich auf jeden Fall nicht zum letzten Mal gesehen..

Liebe Grüße aus Berlin
Daniela

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GAP aka Le Gourmand 24. Oktober 2016 - 19:52

Das ist ja das Wunderbare an den Franzosen: wenn man französisch spricht, dann öffnen sich ihre Herzen, ihr Charakter und dann lernt man Frankreich richtig kennen. Ein faszinierendes Land, grossartige Menschen und eine grandiose Küche! Liebe Grüße, Götz

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Logbuch-Travelblog 12. Oktober 2016 - 07:26

Sehr schöner Artikel, da möchte man eigentlich gleich ins Auto einsteigen und los fahren Richtung Süd-Frankreich.

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GAP aka Le Gourmand 24. Oktober 2016 - 19:51

Wenn Du das machst, dann komm bitte bei mir vorbei und nimm mich mit. Wird bestimmt lustig. :) Liebe Grüße, Götz

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Nicole Bittger 12. Oktober 2016 - 08:08

Ach man, da fehlt mir die Provence ja direkt. Ich war im Juli in Südfrankreich unterwegs und habe mich in die vielen kleinen Ortschaften verliebt. Dein Artikel fasst die Region wunderbar zusammen und auf den Besuch der Nougatherstellung bin ich etwas neidisch, das hatte ich nicht geschafft. Nächstes mal. Du hast mir ja gerade genug Gründe gegeben, wieder hinzufahren:)
Liebe Grüße
Nicole von CicoBerlin

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GAP aka Le Gourmand 24. Oktober 2016 - 19:51

Ja, Frankreich hat so viele so schöne Ecken, da gerät man immer ins Träumen und wünschte, man würde dort leben. Geht mir auch jedes Mal so. Liebe Grüße, Götz

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Agy Nitzsche 12. Oktober 2016 - 08:34

Wow was für ein ausführlicher und toller Artikel mit wunderbaren Fotos, macht Lust auf mehr (mehr Urlaub) :-) – Aber im Moment muss ich mich mit dem Anschauen begnügen und mich dann wieder meiner Arbeit widmen. Hat Spaß gemacht zu lesen und ins Schwärmen zu geraten.

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GAP aka Le Gourmand 24. Oktober 2016 - 19:50

Sehr gern, freut mich, dass wir Dich zum träumen bringen konnten. Liebe Grüße, Götz

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