Es gibt Gerichte, die bleiben im Gedächtnis, weil sie eine Brücke schlagen zwischen Tradition und moderner Küche. Sie erzählen etwas über den Koch, über seine Haltung zum Handwerk, über seine Herkunft und seine Philosophie. Der Kalbskopf von Hans Haas, im Ciabatta gebraten und mit Meerrettichbohnen serviert, gehört genau in diese Kategorie. Er ist kraftvoll und zugleich fein, bodenständig und dennoch voller Raffinesse. Wer ihn einmal nachgekocht hat, versteht, warum der langjährige Tantris-Küchenchef auch nach seinem Rückzug aus der Spitzengastronomie als einer der ganz großen Köche Deutschlands gilt.
Hans Haas: Ein kulinarischer Meister
Wenn man von deutscher Spitzenküche der letzten Jahrzehnte spricht, führt kein Weg an Hans Haas vorbei. Geboren in der Wildschönau in Tirol, erlernte er das Handwerk von Grund auf und brachte eine Haltung mit, die bis heute seine Rezepte prägt: Qualität vor Effekthascherei, Reduktion auf das Wesentliche, Respekt vor den Produkten. Ab 1991 leitete er das Münchner Tantris, ein Restaurant, das längst Legendenstatus genießt. Unter seiner Regie hielt es jahrzehntelang zwei Michelin-Sterne und galt als einer der wichtigsten Orte für Gourmets in Deutschland.

Hans Haas gehört zu den prägenden Figuren der modernen deutschen Gourmetküche. Unter seiner Ägide wurde das Tantris zu einem Tempel der Kreativität und Aromenbalance. Seine Küche war stets durchdacht, regional verwurzelt und gleichzeitig avantgardistisch, ohne auf Bodenständigkeit zu verzichten. Das macht den „Kalbskopf von Hans Haas“ zu einem Rezept, das Tradition und Innovation stilsicher verbindet.
Sein Ruhestand ab Ende 2020 bedeutete keinen Bruch mit der Küche. Vielmehr widmete sich Haas seiner Leidenschaft in anderer Form: durch Kochbücher, durch Interviews und durch die Weitergabe seines Wissens. Gerichte wie der Kalbskopf im Ciabatta gebraten sind Belege für seine Philosophie – sie vereinen Präzision, Klarheit und Charakter.

Was ist das Besondere am Kalbskopf?
Der Kalbskopf gehört zu den Stücken, die im modernen Alltag vieler Küchen kaum noch eine Rolle spielen, dabei ist er ein oft unterschätztes, jedoch geschmacklich erstaunlich vielseitiges Stück. Er hat ein einzigartiges kulinarisches Potenzial. Er setzt sich aus unterschiedlichen Komponenten zusammen: Zunge, Backen und Maske. Gemeinsam ergeben sie eine Mischung aus zartem Muskelfleisch, feiner Fettstruktur und gelatinehaltigem Bindegewebe. Diese Verbindung sorgt für einen intensiven, fast seidigen Geschmack, der durch schonendes Garen zur Geltung kommt. Diese Komponenten liefern beim langsamen Schmoren eine samtige Textur, die ein tiefgründiges Aroma hervorbringt.

Dass Kalbskopf heute schwerer erhältlich ist, hängt mit der Nachfrage zusammen. Die Beschaffung kann regional variieren: In gut sortierten Metzgereien oder bei Direktvermarktern ist Kalbskopf in der Regel bestellbar, manchmal auch halbfertig vorbehandelt, was insbesondere einen Zeitvorteil bietet. Generell gilt Kalbskopf als eher seltenes, aber geschätztes Teilstück – ideal für ambitionierte, geschmacklich ausgerichtete Köche. Doch wer ihn zubereitet, merkt schnell: Es ist kein einfaches Alltagsprodukt, sondern ein Teilstück, das Aufmerksamkeit, Zeit und Respekt verlangt. Genau darin liegt sein Reiz.

Das Rezept im Kontext: Was macht dieses Gericht aus?
Das Rezept „Kalbskopf im Ciabatta gebraten mit Meerrettichbohnen“ verbindet klassische Technik mit überraschender Modernität. Zunächst erfolgt eine lange, schonende Kochung des Kalbskopfs – inklusive der Zunge – in einem aromatischen Sud. Das Fleisch wird abgeschreckt, ausgelöst, gewürzt und zu einer Terrine verarbeitet, die über Nacht Geschmack entwickeln kann.
Der Clou liegt im nächsten Schritt: Die kalte Terrine in dünne Scheiben geschnitten, zwischen Ciabatta-Scheiben gelegt und kurz in der Pfanne sanft gebräunt. So entsteht eine faszinierende Kombination aus weichem, aromatischem Fleisch und knusprigem Brot – eine Texturkomposition à la Hans Haas. Kombiniert wird das Ganze mit Meerrettichbohnen, die durch ihre kühle Frische, Schärfe und Crunch das Gericht elegant ergänzen.

Wie berühmt ist dieses Rezept?
Das Besondere am Kalbskopf von Hans Haas ist die Verbindung aus traditioneller Zubereitung und moderner Idee. Zunächst wird der Kopf mit Gemüse, Kräutern und Gewürzen mehrere Stunden sanft gekocht. Die einzelnen Teile – Zunge, Backerl, Maske – werden sorgfältig ausgelöst, gewürzt und zu einer Terrine gepresst. So entsteht eine Basis, die Aromen bündelt und Struktur gewinnt.
Der Clou ist jedoch der nächste Schritt: Die Terrine wird in Scheiben geschnitten, in dünnes Ciabatta eingeschlagen und in der Pfanne knusprig gebraten. Dadurch erhält das Gericht eine zusätzliche Dimension. Außen knusprig, innen saftig und aromatisch – eine Textur, die überrascht und begeistert. Die dazu servierten Meerrettichbohnen setzen einen klaren, frischen Kontrapunkt. Sie bringen leichte Schärfe, kühle Frische und eine gewisse Leichtigkeit in das Gericht, das sonst sehr kraftvoll wirken könnte.
Genau diese Balance macht das Rezept zu einem Klassiker. Es ist deftig, aber nicht schwer, rustikal, aber raffiniert. Es zeigt, wie aus einem vermeintlich einfachen Produkt ein Gourmetgericht werden kann.

Das vollständige Rezept: Lauwarmer Kalbskopf im Ciabatta gebraten mit Meerrettichbohnen
Die Zutaten:
Lauwarmer Kalbskopf…
- ½ Kalbskopf mit Zunge
- 500 g Karotten
- 4 Stangen Sellerie
- 1 Lauch
- 12 Frühlingszwiebeln
- 4 Schalotten
- 1 EL Pfefferkörner
- 2 Zweige Thymian
- 1 Rosmarinzweig
- 2 Knoblauchzehen
- 40 g Weißwein-Essig
- Saft von 1 Zitrone
- Salz
Ciabatta-Brot
- 8 dünne Ciabatta-Scheiben (2–3 mm), idealerweise vom Vortag, in Klarsichtfolie gewickelt (damit sie sich auf einer Aufschnittmaschine besser schneiden lassen)
- Salz
- Pfeffer
- etwas Öl zum Braten
Meerrettichbohnen
- 200 g Bohnen
- 1 EL Sauerrahm
- 1 TL Meerrettich (aus dem Glas)
- 1 EL fein gehackte Schalotten
- Essig
- Öl
- Salz
- Pfeffer
- eine Prise Cayenne
- etwas Zitronensaft
- Schnittlauch
- 1 EL Croutons
Das Rezept:
Lauwarmer Kalbskopf…
- Den Kalbskopf und die Zunge zusammen mit dem geschälten, nicht zerteilten Gemüse sowie allen Gewürzen in einen Topf geben.
- Mit so viel Wasser auffüllen, dass alles knapp bedeckt ist.
- Zum Kochen bringen, einmal aufkochen lassen, dann bei schwacher Hitze 2–3 Stunden sanft köcheln.
- Sobald die Zunge gar ist – sie braucht etwas weniger Zeit als der Kopf – herausnehmen und die Haut abziehen. Ist der Kalbskopf weich, herausnehmen, kurz unter kaltem Wasser abschrecken,
- Fleisch von Zunge, Backerl und Maske lösen und grob würfeln.
- Mit Salz, Pfeffer und etwas Essig abschmecken.
- Noch warm in eine Terrinenform geben, andrücken und im Kühlschrank über Nacht durchkühlen lassen.
… im Ciabatta gebraten
- Die kalte Terrine aus der Form nehmen und etwa 1 cm dick in Scheiben schneiden.
- Das Ciabatta längs auf der Aufschnittmaschine in feine Scheiben schneiden.
- Jede Kalbskopfscheibe salzen und pfeffern und auf eine Brotscheibe legen.
- Die zweite Scheibe so darauflegen, dass das Brot an den offenen Seiten übersteht.
- Ganz wenig Öl in einer beschichteten Pfanne erhitzen, die Brote darin vorsichtig andrücken, kurz von beiden Seiten braten.
- Auf Küchenpapier abtropfen lassen.
- Sofort servieren – die Kruste soll noch knusprig sein.
Meerrettichbohnen
- Die Bohnen in reichlich Salzwasser garen, anschließend kalt abschrecken.
- Mit Sauerrahm, Meerrettich, Schalotten und der Würzung nach Geschmack kräftig marinieren.
- Zum Schluss Schnittlauch und Croutons unterheben.


Variation: Kalbskopf mit Sauce Gribiche
Ein weiterer Klassiker ist der Kalbskopf mit Sauce Gribiche. Natürlich konnte ich es mir nicht nehmen lassen, nach dem lauwarmen Kalbskopf im Ciabatta auch das berühmte Rezept mit der Sauce Gribiche zuzubereiten.
Die Sauce Gribiche ist eine kalte Sauce der traditionellen französischen Küche mit betont pikant-würzigem, leicht säuerlichem Geschmack.
Zutaten sind hartgekochtes Ei, Kapern, Gewürzgurken, Senf, Essig, Öl sowie Kräuter wie Estragon oder Kerbel. Zur Zubereitung werden die Eigelbe sehr fein gehackt oder durch ein Sieb passiert, dann mit Senf und Essig verrührt und mit Öl zu einer Emulsion aufgeschlagen. Die fein gehackten Gurken, Kapern und Kräuter sowie das gehackte oder in Streifen geschnittene Eiweiß werden am Ende untergehoben.
Zutaten für eine gute Sauce Gribiche
- Eier: Das Eigelb von hartgekochten Eiern ist die Grundlage für die Mayonnaise.
- Senf: Hilft bei der Emulsion und würzt die Sauce. Ein scharfer Dijon-Senf ist ideal.
- Sonnenblumenöl: Ich bevorzuge es hier wegen seines neutralen Geschmacks, du kannst es aber auch mit Raps- oder Traubenkernöl versuchen.
- Kapern & Cornichons: Für die pikante und knackige Seite. Ich schneide die Cornichons (Essiggurken) in sehr kleine Würfel.
- Frische Kräuter: Petersilie und Schnittlauch sind die Klassiker. In der Saison gibt Estragon eine Note, die ich liebe!
Zubereitung
- Ich koche immer zuerst die Eier hart: 9 Minuten in kochendem Wasser, damit das Eigelb nicht zu trocken wird. Danach tauche ich sie sofort in eine Schüssel mit Eiswasser, um den Kochvorgang zu stoppen.
- Nach dem Schälen der Eier löse ich das Eigelb aus, das ich mit Senf, Essig, etwas Salz und Pfeffer gut zerdrücke
- Dann gieße ich das Öl in einem dünnen Strahl dazu und schlage es mit einem Schneebesen zu einer Art Mayonnaise
- Ich füge das gehackte Eiweiß, die Kapern, die in kleine Stücke geschnittenen Gurken und die fein gehackten Kräuter hinzu.
- Ich schmecke ab, passe die Würze an, wenn nötig, und stelle die Sauce bis zum Servieren kalt.
Tipps für eine gelungene Sauce Gribiche
- Schmecke immer vor dem Servieren ab: Die Sauce muss ein ausgewogenes Verhältnis von Fett, Säure und Salz haben.
- Verwende gut gekochte Eier, aber nicht zu hart: Das Eigelb sollte fest, aber nicht zu trocken sein.
- Schlage die Masse von Anfang an kräftig auf und gieße das Öl ganz langsam, in einem feinen Strahl dazu – so entsteht eine schön gebundene Mayonnaise.

Fazit: Ein Gericht für Genießer mit Geduld
Der Kalbskopf im Ciabatta gebraten mit Meerrettichbohnen ist kein schnelles Rezept für den Feierabend. Er verlangt Vorbereitung, Planung und Zeit. Aber genau das lohnt sich. Am Ende steht ein Gericht, das sowohl geschmacklich als auch handwerklich überzeugt. Es ist ein Beispiel für die Küchenphilosophie von Hans Haas: Respekt vor dem Produkt, Klarheit im Geschmack, Perfektion in der Technik.
Wer den Aufwand nicht scheut, wird mit einem Erlebnis belohnt, das man so schnell nicht vergisst. Und vielleicht versteht man danach ein wenig besser, warum der Kalbskopf von Hans Haas in der Spitzengastronomie wie auch unter ambitionierten Hobbyköchen bis heute Faszination auslöst.